Die Huren des Apothekers
war.
Lustwandelnd schritt Luzia durch den Garten, der in der Nähe des Haupthauses eher einem Park ähnelte, wenn er auch sehr durch die Karawane gelitten hatte. Aufgewühlte Rasenflächen und verschmutzte Wege wurden eifrig durch die Bewohnerinnen der Unterkunft von den Hinterlassenschaften der Zugtiere gereinigt und geglättet. Jede einzelne machte Luzia Platz und knickste vor ihr, um sofort weiterzuarbeiten, sowie sie vorbei war. Jedes Mal nickte Luzia mit einem Lächeln und versuchte, möglichst niemanden zu behindern. Mindestens zwei Dutzend der Mädchen huschten wie die Heinzelmännchen herum. Erst als Luzia das Haupthaus umrundet hatte, hörte die Geschäftigkeit um sie herum auf.
Den Anbau konnte sie von ihrem Daheim aus nicht sehen, darum überraschte sie der Anblick. Wenn schon das Haupthaus sich zugeriegelt und wehrhaft gab, dann machte der Anbau den Eindruck einer Festung. Nur wenige Fenster, die eher Schießscharten ähnelten, wiesen fest verschlossen in den Garten. Diese Luken brauchten nicht einmal ein Gitter, niemand hätte vermocht, sich dort hindurchzuzwängen.
Der Anbau lag im Norden des höheren Haupthauses, nicht ein Lichtstrahl erhellte die düstere Fassade, das Schieferdach dräute über den Gauben wie eine verbrannte Klaue. Ein Schauer lief Luzia über den Rücken, als sie sich vorstellte, wie es wäre, dort ihr Kind zu gebären. Wer an diesem Ort den Mutterleib verließ, erblickte nicht das Licht der Welt, sondern eher Höllenfeuer, denn solche Räume müssten ständig beleuchtet werden – und wie Luzia die Nachbarin einschätzte, benutzte sie billige Kienspäne oder Verwesung ausdünstende Talglichter vom Abdecker.
Der Eingang klaffte wie ein aufgerissenes Maul in der Fassade. Ein Vorbau schützte einen vor dem Portal Wartenden vor den Unbillen des Wetters, doch deshalb drang noch weniger Licht bis zum Holz der Türen, von denen nur die senkrechten Balken einen Schimmer erhielten, womit sie wie Zähne herausstanden. Diesen Eindruck verstärkte noch der hölzerne Baldachin des Vorbaus, der unter anderen Umständen wie filigrane Spitze ausgesehen hätte, so aber wie ein zerfressenes Gebiss.
Dort hindurch also war der Mumienkasten getragen worden, dort kamen die vielen Pakete der Medikamente her, die der Apotheker verschickt hatte. Drei Stufen führten hinein, aber Luzia scheute davor zurück, dieses Gebäude zu betreten. Langsam umrundete sie den Anbau und betrachtete ihn aus allen Richtungen. Auch die Rückseite sah nicht angenehmer aus, auch hier glänzte das Mauerwerk durch Abwesenheit von Fenstern. Wenn der Eingang mit seinem Dach die andere Seite noch aufgelockert hatte, dann machte die Rückseite ganz deutlich, worum es sich bei diesem Haus handelte: um ein Gefängnis.
So sehr nahm dieses Gefühl Luzia in Anspruch, dass sie gar nicht bemerkte, wohin ihre Füße sie trugen. Ein Wassertropfen traf sie ins Gesicht und weckte sie aus ihrer Versunkenheit. Sie schaute nach oben, die Wolken hingen bleischwarz und tief über dem Wald. Und davor … Sie zuckte zurück, als sie sah, dass sie fast auf einem Grab stand. Direkt vor ihr erstreckte sich ein Friedhof. Dieser Totenacker hatte nichts gemein mit dem peinlich gepflegten Kirchhof in der Stadt, auch nicht mit allen anderen, die sie kannte. Nur nackte Erde bedeckte die Gräber, keine Blüte, kein Andenken brachte Schönheit an diesen trostlosen Ort, höchstens Unkraut überwucherte die älteren Hügel, bis sie zum Wald hin einsanken und mit dem Boden verschmolzen, ohne eine Spur der Verblichenen zurückzulassen. So viele! Wie lange betrieb Frau Mechthild schon ihren Unterschlupf, dass sie so viele der Mädchen zu Grabe getragen hatte?
Unbemerkt durchnässte der Regen Luzias Haube, jetzt rannen die Tropfen ihre Stirn entlang über die Wangen und versickerten in ihrem Kragen. Sie fröstelte. Energisch riss sie sich von dem Anblick los, aber bevor sie sich herumdrehte, bemerkte sie noch die kleine Abteilung, in der winzige Grabhügel fast unter der Hecke verschwanden. Ihre Hand stahl sich unter die Schürze auf ihren Leib, sie liebkoste die sanfte Rundung. Nein, was auch immer passierte, weder sie noch ihr Kind würden jemals auf diesem Leichenfeld ruhen. Hinter dem Schloss, wo der Wald begann, gab es einen kleinen, von einer niedrigen Mauer umschlossenen Friedhof, auf dem Lukas‘ Familie eine Gruft besaß. Direkt darüber erstreckten sich die dichten Äste einer mächtigen Eiche, als ob sie das Grab behüten wollten. Dort würde sie die
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