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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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Haupt, aber jede von ihnen ersehnte nur das Ende der Ermahnung.
    Ohne das Gesicht zu heben, suchte Elße mit den Augen Jonata. Die letzten Tage waren sie nach dem Nachtessen gemeinsam zur Kapelle gegangen, um auch gemeinsam ins Bett zu schlüpfen. Ob sie ihrer Freundin das schreckliche Abenteuer der letzten Nacht beichten sollte? Diese Ereignisse lagen Elße schwer auf der Seele und vielleicht erleichterte sie eine Beichte, und wenn es auch nur vor einer Freundin war.
    »… danken wir dem Herrn für die Freundlichkeit seines treuen Dieners, des Knechts Endres, der unvermutet in einer dringenden Angelegenheit seinen Dienst quittieren musste.« Die Worte Mechthilds bewirkten, dass Elßes Eingeweide sich zusammenzogen. Auf einmal lag die Grütze wie ein Stein in ihrem Magen. Hatten sie ihn gefunden? Nein, danach klang es nicht. Man musste ihn doch suchen! Aber auch das sagte Mechthilds Rede nicht aus. Es hörte sich eher so an, als ob es an der Tagesordnung sei, dass ein Knecht sang- und klanglos den Dienst verließ, ohne Bescheid zu geben, wohin er verschwand.
    Elße ertappte sich, wie sie mit offenem Mund Mechthild anstarrte und ihre Worte durch sich hindurch fließen ließ, ohne sie wahrzunehmen. Kurz trafen sich ihre Blicke und Elße ließ sofort den Kopf sinken, hoffte, dass die Herrin nicht bemerkt hatte, wie sehr ihre Worte Elße aufwühlten. Leise murmelte sie die Worte des Vaterunsers mit, die nicht mehr ganz so fremd klangen wie zu ihrer Ankunft im protestantischen Marburg. »Vergib uns unsere Schuld …« Elßes Schuld war es, dass Endres jetzt im Wald verscharrt lag. »… so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern …« Konnte sie Endres vergeben? Dass er ihr, als seiner Schutzbefohlenen, Gewalt hatte antun wollen? Sie als Instrument seiner Wollust missbrauchen? Konnte sie dem Marodeur vergeben, der diese Lawine des Elends über Elße losgetreten hatte?
    Das Glöcklein verklang, ein vielstimmiges »Amen« schallte durch die Kapelle, freudig, weil es das Ende des Gottesdienstes bedeutete. Röcke raschelten, Holzschuhe klapperten, als die Mädchen sich aufrichteten und noch einen Augenblick mit gesenktem Antlitz stehen blieben, bis Frau Mechthild durch ihren eigenen Aufbruch signalisierte, dass sie den Schlafsaal aufsuchen durften. Elße hob den Kopf und stellte sich auf Zehenspitzen, um nach Jonata zu sehen. Vergeblich suchte sie den blonden Schopf der Freundin. Einige hatten den Raum verlassen, ohne dass Elße sie begutachten konnte.
    Um kein Aufsehen zu erregen, reihte sie sich in den Strom der jungen Frauen ein. Spätestens auf der Pritsche würde sie die Freundin treffen.
    »Kein Wort mehr über die Rote«, raunte eines der Mädchen vor ihr ihrer Begleiterin zu.
    »Wieso, was hast du?«
    »Auf keinen Fall Lust, mir Ärger einzuhandeln. Frau Mechthild kreischt wie eine Furie, wenn sie Gerede darüber hört. Die ärgste der Klatschbasen hat Jerg abgeholt, damit sie die verdiente Strafe erhält.«
    Böses schwante Elße. Unauffällig schob sie sich näher an die beiden. »Wer wurde abgeholt?«, flüsterte sie.
    Eine drehte demonstrativ den Kopf weg, aber die andere warf Elße einen scheuen Blick zu. »Jonata«, hauchte sie.
    Wie vom Schlag gerührt blieb Elße stehen. Eine Schneise bildete sich um sie, weil die Nachkommenden ihr auswichen, einige Male wurde sie angerempelt, bis sie ihre Füße zwang, den kalten Steinboden entlangzuschlurfen. Das Getuschel der Mädchen drang zu ihr wie durch einen Schleier und schien sie nicht zu betreffen. Schließlich blieb sie vor ihrem Bett stehen, als ob sie nicht wüsste, was sie hier anfangen solle. Erst nach einer Weile streifte sie Schürze und Oberkleid ab, um sich in die eisige Kuhle zu legen. Sie schlang die Decke um sich herum, musste sie nicht teilen, trotzdem fühlte sie sich nackt. Jonata war abgeholt worden.
    Schon oft hatte Elße davon gehört, dass die Knechte sich besonders aufsässige Mädchen im Anbau vornahmen und sie zur Einsicht brachten, wozu sie manches Mal mehrere Tage brauchten. Was genau dort geschah, wusste niemand, aber die wildesten Gerüchte schwirrten herum. Die betreffenden Mädchen schwiegen beharrlich, verhüllten sorgfältig ihren Körper, sprachen manchmal nicht mehr ein einziges Wort, bis sie Frau Mechthilds gastliche Hallen endgültig verließen. Was Schlimmes mochte Jonata verbrochen haben, um das zu verdienen?
    Wie ein Messer schnitt das schlechte Gewissen in Elßes Leib. Ob Jonatas Verschwinden damit zu tun hatte, dass sie

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