Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
Vom Netzwerk:
rumpelte sie mit der Kleidertruhe und quietschte mit den Bettfedern, wobei sie ihr Oberkleid ablegte und ein schlichtes, dunkles überzog. Lange Ärmel und ein hochgeschlossener Kragen bedeckten den gesamten Körper, für die Hände suchte sie ein Paar hauchfeiner Lederhandschuhe heraus und steckte die Haare unter eine dunkle Haube. Ein Blick in den kleinen Spiegel überzeugte sie nicht. Nein, weit entfernt von der kleinen Einbrecherin, die im Schutz der Dunkelheit dem Kaiser das Bettlaken unter dem Hintern wegstahl – wie die Waschweiber in Amorbach von der unbekannten Diebin tratschten -, aber gut genug für einen harmlosen Ausflug. Sollte tatsächlich jemand sie erwischen, musste sie sich eine passende Ausrede einfallen lassen. Darum durfte sie nicht verlegen sein. Denn sie hatte ja wirklich nichts Schlimmes vor, sie wollte sich nur umsehen. Nicht mehr. Ehrlich.
    Ob Lukas wusste, dass überall im Haus Kleinigkeiten für ihre Zwecke versteckt lagen? Luzia öffnete die wertvolle Bleiverglasung des Fensters und tastete unter der nächsten Schieferschindel. Leicht rollte sich das darunter verborgene Seil ab und endete knapp über dem Boden. Ein Schwung beförderte sie auf das Fensterbrett, sie schlängelte sich hinaus auf das Dach. Gerade als sie das Seil ergriff, steckte sie fest. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Noch ein, zwei Wochen und sie bekäme ernsthafte Schwierigkeiten, auf diesem Weg das Haus zu verlassen. Ein tiefer Atemzug befreite sie und sie setzte alle Kraft ihrer Arme ein, um sich am Seil zu halten und die Füße aus dem Fenster zu schwingen. Der Rock behinderte sie, aber es gelang ihr auch ohne Hilfe der Füße, sich am Seil herabzulassen. Fast zu spät dachte sie daran, den Fensterflügel zu schließen, damit nicht schon auf den ersten Blick ersichtlich war, wohin sie verschwand.
    Unter ihren leichten Lederschuhen fühlte sich der Boden weich an; auch hier hatten die Heinzelmännchen gehackt. Zum Glück sank sie nicht weit ein und über Fußspuren musste sie sich keine Gedanken machen. Immer wieder rief sie sich ins Gedächtnis: Dies war ihr Heim, hier konnte sie aus dem Fenster klettern, wann immer es sie gelüstete. Mochten die Angestellten und Nachbarn sie für seltsam halten – verbieten konnte es ihr niemand. Nichtsdestotrotz musste es nicht jeder mitbekommen.
    In flinkem Trab erschien ihr der Weg zum Anbau der Nachbarin nur noch einen Bruchteil der Strecke wie im gesitteten Gang heute Nachmittag. Und noch immer konnte sie sich auf ihren unfehlbaren Orientierungssinn verlassen. Luzia hatte nicht merklich ihre Diebesfähigkeiten eingebüßt, wie sie mit nicht wenig Stolz feststellte. Die schnelle Bewegung an frischer Luft bescherte ihr ein Hochgefühl, dennoch nahm sie sich vor, besonders vorsichtig zu sein, denn wenn es darauf ankam, war es möglich, dass ihr das entscheidende Quäntchen an Geschick abhandengekommen war.
    In den Fenstern des Haupthauses wanderte Kerzenschein. Elße hatte gesagt, dass die Mädchen nachts in ihrem Schlafsaal eingeschlossen waren, also konnte es nur Mechthild sein, die alles vor der Nacht kontrollierte. Gut, dann befand sie sich nicht im Anbau und hatte nicht von innen alle Riegel vorgelegt. Und wo mochte sich der Apotheker aufhalten? Diese Nacht war er wegen der Lieferung nicht nach Marburg zurückgekehrt. Arbeitete er im Haus oder im Anbau? Egal. Anscheinend hütete das seltsame Ehepaar seine Geheimnisse gemeinsam. Da würde der Mann sich nicht vor der Frau verbarrikadieren, zumal das Schloss auch ohne die Riegel vor jedem normalen Besucher Schutz gewährte.
    Luzia kostete die Spannung bis zuletzt aus. Willentlich zögerte sie, den schlundähnlichen Vorbau zu betreten und den Dietrich in das Schloss der Tür zu stecken. Fast jedes Bürgerhaus in all den Städten, in denen sie ihrem einstigen Gewerbe nachgegangen war, hatte es ihr schwieriger gemacht. Hier schützte man sich vor brutalen Räubern, nicht vor geschickten Einbrechern, weshalb sie keine Schwierigkeiten erwartete. Nur kurz meldete sich ihr Gewissen. Was würde Lukas sagen? Nun, er musste es nicht erfahren. Niemand würde es erfahren. Kurzentschlossen führte sie ihr Instrument ein und öffnete innerhalb eines Augenzwinkerns.
    Gut geölt und lautlos schwang die Tür vor ihr auf und kurz überkam sie das Gefühl, sich dem Rachen eines Raubtiers auszuliefern. Luzia schluckte, dann tat sie den ersten Schritt und zog die Tür wieder hinter sich zu. Absolute Dunkelheit umgab sie. Draußen

Weitere Kostenlose Bücher