Die Huren des Apothekers
leuchteten hell die Sterne. Der Mond würde erst in einigen Stunden aufgehen – Glück für Lukas, der seine Beobachtungen unter idealen Bedingungen beenden würde. Nachdem Luzia ihren Augen eine Weile Zeit gelassen hatte, sich an die Dunkelheit anzupassen, erkannte sie Schemen um sich. Genauso nüchtern , wie der Anbau von außen wirkte, schien er auch von innen zu sein. Und auf jeden Fall noch ein Stück ungemütlicher , als man es vermutete. Ein stetiger Wind zog durch das Gemäuer, bei dem Luzia sich nach ihrem warmen Mantel sehnte. Vor ihr wand sich eine Treppe sowohl nach oben als auch nach unten und die Zugluft heulte schauerlich die Stufen entlang. Ohne über ihre Entscheidung nachzudenken, wandte Luzia sich nach oben. Ihre Füße erzeugten keinen Laut, aber bei dem ständigen Pfeifen um sie herum befürchtete sie sowieso nicht, Aufmerksamkeit zu erregen. Viel mehr Sorgen bereitete es ihr, über die Geräusche das Nahen des Apothekers oder seiner Frau zu überhören.
Im ersten Stock endete die Treppe. Es musste noch eine Stiege ins Dachgeschoss geben, die Luzia aber vorerst nicht beachten wollte. Eine unverschlossene Tür führte auf einen langen Flur, von dem es auf beiden Seiten in Zimmer ging. Das stimmte mit den äußeren Maßen überein. Die Tür an der Stirnseite gehörte also zum Gebärraum, der von beiden Seiten, also von hier und vom Durchgang zum Haupthaus, erreichbar war. Luzia öffnete wahllos eine der Zimmertüren und schlüpfte hinein. Welche Wohltat! Als sie die Tür hinter sich schloss, ließ sie den Wind hinter sich und fühlte eine unerwartete Geborgenheit. Auf einmal misstraute sie ihren Ohren, die gar kein Geräusch mehr meldeten. Eine kurze Untersuchung bestätigte, dass die Tür dicht schloss und über dem Schlüsselloch und unter der Ritze Stoffbahnen die Zugluft aussperrten. Man wusste also von diesem Problem und suchte eine Lösung.
Durch eine Gardine schimmerte Sternenlicht und Luzia konnte sich orientieren. Der Vorhang war aus rotem Samt, was sie verwunderte. So wertvoll das Material war, es wirkte … billig. Doch der Rest der Möblierung passte durchaus dazu. Ein breites Bett und eine Waschgelegenheit schrien ihr entgegen: Bordell!
Ein grimmiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Das also war das Geheimnis der sauberen Apothekerin! Darum hörte man so wenig von den Mädchen, wie es in diesem Etablissement vor sich ging, darum sah jede von ihnen schamhaft zur Seite, wenn man sie darüber ausfragte. Nicht nur, dass die armen Dinger sich die Finger blutig schuften mussten, um eine harte Pritsche und Küchenabfälle zu bekommen, sie mussten auch noch den ach so edlen Spendern Mechthilds zu Willen sein!
Luzia tastete sich am Bett entlang und spürte um die Pfosten geschlungene Fesseln. Also wurden hier entweder ganz besondere Spielchen gespielt oder die Unwilligen gefügig gemacht. Wie perfide! Und dafür gaben Gutgläubige ihre letzten Heller und dachten, ein gottgefälliges Werk damit zu unterstützen. Zorn ballte sich in ihrem Bauch zusammen. Magdalene würde dieser Heuchlerin die Augen auskratzen!
Genüsslich malte Luzia sich das Zusammentreffen der beiden aus, wie Magdalene all ihre Beherrschung verlor und wie eine Furie über diese Verbrecherin herfiel. Nichts hasste ihre Schwägerin so wie Scheinheiligkeit, unter dem Deckmantel der Wohltat Hilfsbedürftige auszunutzen und zu demütigen.
Die drei anderen Räume wiesen eine ähnliche Ausstattung auf, wobei einer mit mehreren Sesseln wohl dafür gedacht war, Freiern ein Spiel mit einem hilflosen Opfer zu ermöglichen, während ein anderes Zimmer einen großzügigen Herrn dazu einlud, sich auf einer besonders breiten Bettstatt mit mehreren Gespielinnen zu vergnügen. Nicht überall fand sie Fesseln, also schien es durchaus nicht immer mit Zwang und Gewalt einherzugehen. Einige der Mädchen entstammten der Hurenzunft, würden sich also freiwillig hergeben. Allerdings zeigten die Tatsachen deutlich, dass es nicht immer so lief.
So sehr Luzia ihre Entdeckung befriedigte, deshalb war sie nicht hergekommen. Jetzt, wo sie das große Geheimnis enthüllt hatte, würden wohl kaum noch Überraschungen auf sie warten. Weshalb sie jedoch nicht unvorsichtig wurde.
Am Ende des Ganges zögerte sie vor der Tür, die zum Gebärzimmer führen musste. Die Wohltätigkeit der Frau Mechthild war entlarvt als grausame Gewinnsucht, erwartete Luzia da angenehme Verhältnisse für die Geburten? Bewusst drehte sie dem Übergang den Rücken zu.
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