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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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Kreise ziehen, dass er problemlos die beiden frischen Leichen zur Seite schaffen konnte, wo niemand sie fand. Die ausgetrockneten Mumien – jeder wusste doch, dass Henslin sie aus Ägypten bezog. Wer wollte da Verdacht schöpfen? Nein, je länger sie darüber nachdachte: Sie durfte sich nicht an die Gerichtsbarkeit wenden. Hatte sie denn nicht schon genügend Erfahrungen, dass sie darauf niemals wieder baute? Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, musste mehr geschehen als ein hysterischer Hilfeschrei eines Weibes zu einem Richter.
    Luzia straffte ihre Schultern und ließ ihren Blick abschließend noch einmal über den Tatort wandern, um sich alles einzuprägen. Sie musste den Mörder stoppen, sonst würden immer mehr und mehr unschuldige Frauen seiner Gier geopfert, würde er sich weiter an den Herzen ungeborener Kinder nähren.
    Nicht weit von der Mumie lagen die beiden Medaillons, eines vom Pharao, das andere von der Rothaarigen. Schachteln dahinter sahen aus, als ob auch dort Wertvolles enthalten sei, aber dafür fehlte Luzia jetzt der Sinn. Einem Impuls gehorchend verschwanden die beiden Schmuckstücke in Luzias Rocktasche. Wenn Mechthild sie vermisste, sollte sie den Knecht beschuldigen. Denn Luzia würde keine Spuren hinterlassen.
    Die Tür des Mumienkastens stand noch offen. Sorgfältig schob sie den Deckel wieder auf ihr Versteck, wobei sie sich anspannen musste. Gleich drückte wieder die Blase und erinnerte sie daran, dass sie seit Stunden dringend Wasser lassen musste. Ihr Blick schweifte über den düsteren Raum, bis sie sich entschied. Über dem tiefliegenden Abfluss des Teiches hockte sie sich hin. Das Bedürfnis war so groß, dass es die ersten Sekunden schmerzte, als sie die Blase entspannte, bis das Wasser sich in lautem Strahl den Weg bahnte. Erleichtert richtete sie wieder ihre Kleider und betrachtete dabei den Mechanismus, mit dem der Apotheker den Teich aufgestaut hatte. Eine schlichte Schleuse. Er brauchte lediglich ein Brett einsetzen oder anheben, um den Wasserstand zu regulieren. Morgen würde er es entfernen und keinen einzigen verräterischen Blutstropfen zurücklassen.
    Den gleichen Weg, den vor ihr Henslin genommen hatte, schlug sie ein, um aus diesem Labyrinth zu entfliehen. Dabei streifte ihr Blick den blutigen Klumpen, den Rest dessen, was Henslin dem Bauch der Schwangeren entrissen hatte. Saurer Mageninhalt stieg ihre Brust empor und sie schluckte krampfhaft, um sich nicht zu übergeben. Der kaum noch zu erkennende Körper des Kindes lag in einem eisernen Kessel, unter dem die Asche noch glomm. Darüber in einem Regal standen Salbentöpfe. Nicht einmal der Schluss, den sie daraus zog, erschreckte sie noch: Mechthild kochte aus ungetauften Säuglingen Hexensalbe.
    Luzia wandte ihre Schritte zur Tür und öffnete problemlos mit ihren Dietrichen das Schloss, um es hinter sich sorgfältig wieder zu verschließen.
    Der scharfe Wind im Treppenhaus ließ ihren durchgeschwitzten Körper frieren, als ob sie nackt durch den Winterwald liefe. Sie lehnte sich gegen die Wand und zog ihr Kleid dicht um sich herum. Die wenigen Schritte erschöpften sie so sehr, dass ihr schwindelig wurde. Über das Rauschen in ihren Ohren versuchte sie Geräusche aus dem Haus zu erfassen, aber sie hörte nichts, nur das Pfeifen des Windes, dumpf wie direkt unterhalb der mächtigen Flügel einer Windmühle. Hier auf dieser Stufe konnte sie sich aufhalten, bis ihr Herz nicht mehr so wummerte, ihre Gedärme nicht mehr rebellierten und ihre Finger nicht mehr zitterten. Im Nachhinein wunderte sie sich, dass sie trotz ihrer Aufregung das schwierige Schloss so geschwind geöffnet hatte. Wenn sie jemanden kommen hörte, konnte sie noch immer hinter den Kisten unter der Treppe verschwinden.
    Auf einmal trugen ihre Beine sie nicht mehr und sie sank schwer auf die Treppenstufe nieder. Was hatte sie da gerade erlebt? Nur einen Alptraum, war sie in dem elenden Mumienkasten eingeschlafen und hatte sich das alles eingebildet? Ihre Finger tasteten nach dem goldenen Amulett und dem Bernstein. Nein, auf gar keinen Fall. Nur gerüchteweise hatte sie von so scheußlichen Verbrechen gehört, und dasjenige des verrufenen Peter Nirsch gehörte dazu.
    Muttermale vererbten sich, die Form der Nase und krumme Beine, aber der Geschmack an Menschenfleisch? Hatte tatsächlich der teuflische Vater solche Lasterhaftigkeit in den Sohn gesetzt - oder griff dieser nach einer unentschuldbaren Missetat auf die Verruchtheit seines Vaters zurück?

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