Die Huren des Apothekers
Kratzen an der Tür hinter ihr ließ sie aufhorchen. Beinahe dachte sie, sich geirrt zu haben, doch zur Vorsicht zog sie den Mann neben sich hoch und bedeutete ihm zu schweigen. Mit verwunderten Augen folgte er ihr in den Schatten neben den Angeln, gerade als die Tür sich einen Spalt öffnete. Seine Muskeln spannten sich, während Elße sich verzweifelt an die Wand drückte. Der grob beschlagene Stein stach durch den Mantel, aber es gab kein Versteck, das sie schnell erreichen konnte. Ein Messer blitzte in der Hand des Mannes auf. Elße biss in ihre Faust, um nicht aufzuschreien.
Langsam weitete sich der Spalt, als ob jemand vorsichtig hinausspähen wollte. Eine schmale Hand krümmte sich um das massive Blatt und tastete nach der Klinke. Verborgen unter einer Haube und einem weiten Kleid wand sich eine zierliche Gestalt aus der Öffnung. Der Mann hob das Messer. »Nein!«, rief Elße und fiel ihm in den Arm.
Die Haube fiel nach hinten, als die Gestalt den Kopf herumriss. Zuerst befürchtete Elße, den Schwung des Messers nicht aufhalten zu können, doch dann hielt der Mann inne. Die Nachbarin starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an.
»Großmütiger Herr Jesus«, hauchte Elße atemlos. »Frau Luzia, was machst du hier?«
Auch im fahlen Mondlicht sah Elße Röte über das Antlitz der Nachbarin laufen. Sie duckte sich und schaute sich um, dann hielt sie den Finger vor den Mund. »Scht, nicht hier!« Ihr Finger deutete unbestimmt in Richtung ihres Hauses. »Wir müssen hier schnellstens weg.«
Doch statt zu rennen, wie jede Vernunft es Elße befahl, beugte die Nachbarin sich über das Schloss der Tür, drückte sie zu und verbarg mit ihrem Ärmel ihre Handbewegungen. Lautlos huschte sie dann auf den gekiesten Weg und winkte den beiden, ihr zu folgen. Elße und der Fremde tauschten einen Blick, bevor sie die unausgesprochene Einladung annahmen. Frau Luzia lief eine ganze Strecke an ihrem Herrenhaus vorbei, fast bis zur Heerstraße, und umrundete eine dicht belaubte Hecke, um vor einem Häuschen stehenzubleiben. Von dessen Bestehen hatte Elße nichts geahnt, weshalb sie erstaunt haltmachte, als die Nachbarin sich über das Schloss der niedrigen Tür beugte. Alsbald sprang es auf.
Obwohl sie nicht besonders hereingebeten wurden, schob der Mann Elße Frau Luzia hinterher und schloss die Tür. Ein Funke glomm auf und gleich darauf der Docht einer Öllampe, die Spinnweben und Staub auf wenigen abgedeckten Möbeln beleuchtete. Sie befanden sich in einem unbewohnten Gesindehaus. Frau Luzia ließ sich schwer auf einen Stuhl sinken und schloss kurz die Augen, bevor sie mit überraschender Wildheit den Fremden fixierte. »Was tust du hier?«, fuhr sie ihn an.
Wie ein geschlagener Hund krümmten sich die starken Schultern, er senkte den Blick und seine Hände gruben in den Jackentaschen. »Herrin, verzeiht, ich …«
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Elße, nicht wahr?«
Verschüchtert knickste sie und sah auch zu Boden.
»Was treibt ihr zwei da draußen?«
Entsetzt riss Elße die Augen auf. »Du denkst … Nein, Herrin, beim Seelenheil meiner lieben Mutter, ich schwöre, dass ich nichts Unrechtes im Sinn hatte! Ich suchte jemanden …« Sie biss sich auf die Lippen und sah zu dem großen Mann herüber, der wie sieben Tage Regenwetter auf seine Füße starrte und mit den Händen ein Stück Papier wendete – wohl das, auf dem sie geschrieben hatte. Von ihm hatte sie jetzt keine Hilfe mehr zu erwarten. Die Dame allerdings erwies ihr und den anderen aus der Zuflucht Freundlichkeit, war ernstlich bestürzt über das wenige, was Elße ihr über das Treiben dort berichtet hatte. Vielleicht … »Meine Freundin Jonata. Sie ist verschwunden, genauso wie die … Verlobte dieses Mannes. Herrin, wir befürchten das Schlimmste!«
»Das Schlimmste?«, wiederholte Frau Luzia und lachte trocken auf. »Und was wäre das?«
Erst langsam, stockend, dann immer schneller, bis sich ihre Stimme fast überschlug, berichtete Elße, was geschehen war und was sie vermutete. Als sie sich alles von der Seele geredet hatte, begann der Mann von seiner Geliebten zu erzählen. Auf einmal unterbrach die Nachbarin ihn.
»Ein Bernstein?«, fragte sie nach. »Rote Haare?«
Der Fremde nickte und beschrieb seine Bärbel. »Sie trägt den Anhänger an einem Lederband, ein taubeneigroßer Bernstein mit einem Einschluss, ein Ameise, damit auch sie so fleißig sein soll.«
Frau Luzia griff in ihre Rocktasche und präsentierte auf ihrer flachen Hand die
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