Die Hurenkönigin (German Edition)
gelangte sie jedoch unbehelligt nach draußen. Es regnete leicht an diesem milden Sommerabend, und so hielt sich niemand in der Umgebung des Dempelbrunnens auf, wo sich die Huren bei schönem Wetter und an lauen Sommerabenden gern trafen. Mit fliegenden Schritten überquerte Rosi den Brunnenplatz und bog in die Alte Mainzergasse ein, erleichtert darüber, dass sie nun vom Frauenhaus aus nicht mehr zu sehen war.
Den Huren des städtischen Frauenhauses war es nämlich streng verboten, sich außerhalb des Bordells mit Freiern zu treffen. Der Magistrat der Stadt Frankfurt, dem das Frauenhaus gehörte, wollte verhindern, dass ihn die Hübscherinnen um die Einnahmen prellten. Es war allerdings nicht das erste Mal, dass Rosi zu einem heimlichen Stelldichein ging – Josef, ihr »lieber Mann«, hatte sie schon mehrfach an gut betuchte Privatfreier verkuppelt und dann den Löwenanteil ihres schwerverdienten Geldes in die eigene Tasche gesteckt. Das wird dieses Mal anders sein, dachte sie triumphierend. Von diesem Geld siehst du keinen roten Heller, du treuloser Schurke. Das gehört mir allein!
Rosi schlug das Herz bis zum Hals. Sie tastete nach dem Lederbeutel, den sie zwischen den Brüsten trug und in dem sie den Gulden verwahrte. Und danach würde sie noch einen kriegen. Ganze zwei Gulden – so viel hatte sie noch nie verdient! Selbst dann nicht, wenn Messe war und die reichen Kaufleute und Händler aus aller Herren Länder scharenweise ins Frauenhaus strömten. Mit zwei Gulden konnte sie endlich fortgehen und woanders ihr Glück versuchen. Da würde Josef blöd aus der Wäsche gucken, wenn die dumme Gans, die er jahrelang ausgenutzt und betrogen hatte, sich still und heimlich vom Acker machte! Auf ihrem weißgeschminkten Gesicht breitete sich ein grimmiges Lächeln aus.
Mit so viel Geld in der Tasche müsste sie eigentlich gar nicht mehr anschaffen gehen – zumindest eine Zeitlang nicht – und könnte sich mehr um ihren Kleinen kümmern, den sie bei der Wäscherin Luitgard in Pflege gegeben hatte. Gleich morgen früh würde sie den zweijährigen Christoph abholen und mit ihm auf einem Güterkahn mainaufwärts in den Spessart fahren, wo ihre Eltern lebten. Seit fünf Jahren, seit sie als Fünfzehnjährige nach Frankfurt gekommen war, um eine Arbeit zu finden, hatte sie die beiden nicht mehr gesehen. Ihre Eltern, einfache Köhlerleute aus dem Spessartdörfchen Heigenbrücken, ahnten nichts von ihrem schändlichen Gewerbe, und sie wussten auch nichts von ihrem Enkel. Von den zwei Gulden hätten sie alle vier das ganze Jahr hindurch ihr Auskommen, sie könnte sich um den Kleinen kümmern und ihrer Mutter bei der Hausarbeit zur Hand gehen. Die frische Luft würde dem Buben guttun, wo er doch so ein spitzes, bleiches Gesichtchen hatte, und sie müsste sich nicht mehr länger diesen widerlichen Kerlen hingeben. Und wer weiß, vielleicht fände sie da draußen auf dem Lande, wo die Menschen noch anständiger waren als hier in der Stadt, sogar ein gestandenes Mannsbild – einen verwitweten Bauern oder Handwerker, der es ehrlich mit ihr meinte und sie trotz des unehelichen Kindes heiraten würde.
Eigentlich hatte sie davon geträumt, mit Josef, der der Vater von Christoph war, aufs Land zu ziehen und einen kleinen Bauernhof zu betreiben. Sie hätten das Kind zu sich nehmen und heiraten und ein anständiges, gutes Leben führen können. Leider war dieser Traum nie Wirklichkeit geworden. Dafür war Josef, dieser Hallodri, einfach nicht der richtige Mann.
In solcherart Gedanken versunken, erreichte Rosi schließlich das Fahrtor an der Mainbrücke, die Frankfurt mit dem waldreichen Stadtteil Sachsenhausen verband, und blickte sich erwartungsvoll um. Weit und breit war niemand zu sehen, aber sie war auch noch etwas früh dran. Die Rathausuhr hatte noch nicht die elfte Stunde angeschlagen.
Stockfinster war es hier draußen am Mainkai. Der faulige Geruch des Flusses stieg ihr in die Nase, und auch der Regen war inzwischen stärker geworden. Rosi senkte den Kopf, damit ihre Schminke nicht verlief, und spürte plötzlich eine vage Furcht in sich aufsteigen. Zu ihren anderen Verabredungen außerhalb des Frauenhauses hatte Josef sie immer begleitet. Und er hatte sie auch abgeholt, wenn alles vorbei war. Aber er hatte außerdem ihren Hurenlohn kassiert, dachte sie mit einem Anflug von Verbitterung, und ihre Beklommenheit schwand.
Plötzlich hörte sie Pferdegetrappel, das immer näher kam, und im nächsten Augenblick ertönte vom
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