Die Hurenkönigin (German Edition)
versuchte mit aller Kraft, sich aus seinem Griff zu winden. Doch es gelang ihr nicht, seine Hand krallte sich nur noch tiefer in ihren Oberarm, und er zischte wütend: »Sei still, du Miststück! Hier draußen kann dich sowieso keiner hören!«
2
Sonntag, 17. Juli 1511
Als Ursel Zimmer am Sonntagmorgen vom durchdringenden Läuten der Kirchenglocken geweckt wurde, fuhr sie hoch und rieb sich verschlafen die Augen. Es war höchste Zeit, aufzustehen, um sich für den sonntäglichen Kirchgang herzurichten. Gähnend sank sie jedoch wieder zurück auf ihr Daunenkissen und schmiegte sich an den Mann, der schlafend an ihrer Seite lag. Versonnen betrachtete sie sein markantes Gesicht mit der Denkerstirn, das umrahmt war von schulterlangem graumeliertem Haar.
Bernhard von Wanebach war die Liebe ihres Lebens. Es war für sie immer noch wie ein Wunder, dass ihr so etwas beschieden war.
Als sie ihm damals begegnete, im reifen Alter von vierzig Jahren, war sie bereits seit über zwei Jahrzehnten im Geschäft. Sie war immer noch eine der begehrtesten Huren in der Stadt gewesen, die es trefflich verstand, ihren Verehrern Leidenschaft vorzuspiegeln. Aber ihr Herz war dabei stets unberührt geblieben. Die Liebe war für sie nichts anderes gewesen als ein Handel, nicht mehr und nicht weniger. Und dann hatte sie diesen Mann getroffen und mit ihm eine so atemberaubende Nacht erlebt, dass sie anschließend weinte und ihm zuflüsterte, sie werde dereinst als glücklicher Mensch sterben.
Bernhard hatte sie zärtlich umfasst, und da wusste sie, dass es ihm ebenso erging. Noch am selben Tag hatte sie sich entschieden, ihr Gewerbe aufzugeben und nur noch als Frauenhauswirtin tätig zu sein.
Ursel weckte Bernhard mit einem Kuss. Er blinzelte schläfrig und zog sie in seine Arme. Wie immer konnte sie sich ihm nicht versagen, und sie liebten sich mit der Hingabe zweier Menschen, die einander mit Leib und Seele zugetan waren.
Nach dem Liebesspiel erhob sich Ursel atemlos aus dem Bett und kleidete sich an. »Ich muss mich jetzt aber noch ein bisschen schönmachen«, sagte sie, während sie ihr zerzaustes hennarotes Haar kämmte und hochsteckte. »Geh doch schon mal runter und sag den Mädchen, dass ich gleich komme. Ich brauche noch ein Weilchen.«
Nachdem Bernhard gegangen war, begutachtete sie sich im Spiegel und fing an, sich zu schminken. Ihr Gesicht war von einer Vielzahl an Fältchen durchzogen, man sah ihm an, dass sie gelebt hatte. Dennoch war das Antlitz der Hurenkönigin von eigenwilliger Schönheit. Der wohlgeformte Mund mit den sinnlichen Lippen kündete von Stolz und Lebensfreude, und die ausdrucksvollen, fast schwarzen Augen, die schon in mancherlei Abgründe geblickt hatten, schauten klug und offen in die Welt. Die so unverhofft erlebte Liebe hatte aus der ehemaligen Hure Ursel Zimmer eine glückliche Frau gemacht, die mitten im Leben stand.
Als sie wenig später die Schankstube im Erdgeschoss des Frauenhauses betrat, die den Huren auch als Aufenthaltsraum diente, saßen ihre Schäfchen schon alle am Tisch und aßen ihren Sonntagskuchen, den die Köchin den Huren an ihrem einzigen arbeitsfreien Tag immer kredenzte.
»Morgen, Mädchen!«, grüßte die Zimmerin in die Runde, ehe sie sich auf ihrem angestammten Platz an der Stirnseite des Tisches niederließ.
»Morgen, Meistersen«, antworteten die Huren im Chor.
Im Frauenhaus am Dempelbrunnen regierte die Gildemeisterin Ursel Zimmer wie eine Königin. Die lebenserfahrene Frau, die seit über zwanzig Jahren für die Belange der Huren eintrat, wurde von ihren Schützlingen geachtet und geliebt. Sie konnte ebenso herrisch wie großherzig sein und verstand es, den meist entwurzelten Frauen Halt und Geborgenheit zu geben. Auch wenn die Huren zuweilen über die Schrullen der Zimmerin fluchten, so hätte doch keine sie missen mögen.
»Du bist spät dran heute, Ursel«, mahnte die dunkelhaarige Hübscherin Ingrid. Sie hatte im Frauenhaus die vertrauensvolle Stellung der Lohnsetzerin inne und war Ursels Stellvertreterin. Da sie außerdem noch als Einzige unter den Huren lesen und schreiben konnte, nannte man sie auch die »schlaue Grid«. Die Frau mit den schräg geschnittenen grünen Augen war Ursels beste Freundin.
»Ein Stück Kuchen werde ich doch noch essen dürfen«, flachste die Hurenkönigin, schnitt sich ein dickes Stück Gugelhupf ab und biss herzhaft hinein. Sie ließ ihre Augen über die Tischgesellschaft schweifen. Plötzlich hielt sie inne und rief aus: »Die
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