Die Hurenkönigin (German Edition)
unter der Gemeinde aus, kaum jemand wagte laut zu atmen.
»Die große Hure Babylon.« Das hagere Gesicht des Geistlichen war zu einer Grimasse verzerrt, er spie die Worte aus, als besudelten sie seine Lippen. »Und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das war voll lästerlicher Namen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach und geschmückt mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll von Gräuel und Unreinheit ihrer Hurerei, und auf ihrer Stirn war geschrieben ein Name: Ich bin die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden. Darum werden ihre Plagen an einem Tag kommen, Tod, Leid und Hunger, und mit Feuer wird sie verbrannt werden; denn stark ist Gott der Herr, der sie richtet!«
Im Laufe seiner Predigt war die Stimme des Pfarrers immer fanatischer geworden. Die letzten Sätze aber hatte er mit einer solchen Besessenheit von sich gegeben, als wäre er höchstpersönlich der Vollstrecker des Herrn.
Ursel Zimmer konnte nicht mehr länger an sich halten. Wie von Nadeln gestochen sprang sie auf und schrie: »Das müssen wir uns nicht anhören! Das ist ja die reinste Hasspredigt! Und so was will ein Mann Gottes sein – der reinste Volksverhetzer seid Ihr!« Sie wandte sich abrupt um und stürmte aus der Kirche.
Auch die Hübscherinnen hatten sich von ihren Plätzen erhoben und folgten ihr.
Bernhard von Wanebach trat aus der Kirchenbank. »Ihr solltet Euch schämen, Hochwürden, die freien Töchter unserer Stadt so zu verteufeln!«, tadelte er den Geistlichen und eilte, gefolgt vom Frauenhausknecht und den Dienstmägden, ebenfalls hinaus.
Vor der Kirche stand Ursel Zimmer im gleißenden Sonnenlicht und war kreidebleich vor Wut. Die Huren hatten sich um sie geschart und ließen ihrer Empörung freien Lauf.
»Das habt Ihr gut gemacht, Meistersen!«, bemerkte der Frauenhausknecht anerkennend.
Bernhard ging auf seine Geliebte zu und schloss sie in die Arme. »Was für ein verknöcherter kleiner Eiferer!«, schimpfte er verächtlich.
»Dieser scheinheilige Kuttenträger!«, fluchte die schlaue Grid und hakte sich bei der Freundin unter.
Die Hurenkönigin schnaubte. »So etwas müssen wir uns nicht gefallen lassen. Ich gehe morgen ins Rathaus und beschwere mich beim Bürgermeister über diesen Pfaffen.«
Als sich der Trupp schon in Bewegung gesetzt hatte, hielt die Hurenkönigin plötzlich inne und sagte: »Ach, ich wollte ja noch bei der Wäscherin vorbeischauen, ob die Rosi da ist. In der Kirche war sie jedenfalls nicht.«
»Lasst es gut sein, Meistersen, da mach ich mich jetzt hin«, sagte der Frauenhausknecht. »Ich wollte sowieso mal nach dem Kleinen sehen.«
»Gut, Josef, dann mach das«, entgegnete die Zimmerin. »Und bring die Rosi bloß wieder mit heim, damit man sich keine Sorgen mehr machen muss.«
Josef hob grüßend die Hand und bog in die Buchgasse ein.
Die Hurenkönigin blickte ihm sinnend nach. »Ich kann schon verstehen, warum der Josef bei euch Weibern so beliebt ist«, bemerkte sie. »Bei all seiner Muskelkraft ist er doch ein großer Bub geblieben, dem man kaum etwas übelnehmen kann.«
Als sich die Hübscherinnen dem Frauenhaus näherten, gewahrten sie an der Eingangstür einen großen dunklen Gegenstand, der sich beim Näherkommen als tote Katze entpuppte. Sie war direkt unter der roten Laterne, welche das Frauenhaus in der Nacht auch für Ortsfremde kenntlich machen sollte, an die Tür genagelt worden.
Die Frauen und auch die Gildemeisterin stießen bei dem Anblick laute Entsetzensschreie aus. Mit angewiderter Miene trat Bernhard an die Tür, um den Tierkadaver zu entfernen, doch plötzlich zuckte er zusammen.
»Da ist ein Zettel«, murmelte er und wies auf ein beschriftetes Stück Papier, das mit dem Nackenfell des Tieres auf das Holz genagelt war.
»Hic habitat peccatum« , las er leise vor und war aschfahl geworden.
»Was bedeutet das?«, krächzte die Hurenkönigin. Erschöpft stützte sie sich auf das Treppengeländer.
Bernhard fiel es augenscheinlich schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. Mit bebender Stimme sagte er: »Das heißt: Hier wohnt die Sünde.«
Um die Mittagszeit verließ der Frauenhausknecht Josef Ott die Hinterhauswohnung der Wäscherin Luitgard Griebel in der Buchgasse und ging in Richtung Leonhardspforte, wo sich die Leonhardsschenke befand. Wie so häufig, wenn er seinen Sohn Christoph besucht hatte, war er niedergeschlagener Stimmung.
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