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Die Hurenkönigin und der Venusorden

Die Hurenkönigin und der Venusorden

Titel: Die Hurenkönigin und der Venusorden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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bewusst, dass sie schon lange nicht mehr allein hier gewesen war – in Ingrids Zimmer, und sie empfand mit einem Mal eine tiefe Wehmut. Sie atmete tief ein. Es roch leicht nach Rosenöl und Amber. Das war nicht der vertraute Geruch von Ingrid, der dem Raum auch nach ihrem Tode noch lange angehaftet hatte und den Ursel so liebte, weil er sie an die Verstorbene erinnerte. Nein, was hier im Zimmer hing, war der unverkennbare Duft von Irene. Sie war die einzige der Huren, die sich solch kostbare Ingredienzen leisten konnte. Ursel ging zum Fenster und riss beide Flügel auf. Der fremde Geruch erschien ihr wie ein Verrat an der Freundin.
    Ihr Blick schweifte durch den Raum. Das Bett war gemacht, und auch ansonsten war sorgfältig aufgeräumt worden. Nirgendwo lagen noch Sachen der beiden Ulmerinnen herum.
    Ursel trat an Ingrids Schreibtisch, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen, doch auch hier lagen nur Ingrids Schreibutensilien und Bücher. Hatte Irene etwa schon alles abgeholt?, fragte sie sich enttäuscht. Aber das hätte ihr Irmelin doch bestimmt gesagt, wenn die junge Ulmerin noch einmal hier gewesen wäre! Voller Anspannung sah sie sich weiter um und gewahrte schließlich den Bücherstapel auf der Kleidertruhe, die unweit des Fensters stand. Er war ihr vorhin gar nicht aufgefallen. Die Bücher und Folianten waren akkurat aufeinandergeschichtet. Die Hurenkönigin nahm ein Buch vom Stapel und runzelte verdrossen die Stirn. Sie hatte gehofft, aufschlussreichere Dinge zu entdecken! Das mussten Bücher von Irene sein. Warum aber hatte sie sie dorthin gelegt? Wenn sie sich recht erinnerte, lagen sie doch bisher immer auf dem Schreibpult?
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, ergriff Ursel die Bücher und schichtete sie auf den Dielenboden. Dann öffnete sie hastig den Deckel der Holztruhe. Obenauf lagen säuberlich zusammengefaltet Ingrids Gewänder und ihre weißen gestärkten Unterkleider. Zärtlich strich die Hurenkönigin über ein schwarzes Samtmieder. Ingrid hatte es immer besonders gerne getragen, weil es ihre schmale Taille so vorteilhaft zur Geltung brachte. Im Geiste sah Ursel die Freundin in dem Mieder vor sich und musste unversehens lächeln. Sie hatten einander immer beneidet, Ursel die schlaue Grid um ihren grazilen Körperbau, und Ingrid die Hurenkönigin um ihre üppige Weiblichkeit. Tastend schob Ursel eine Hand zwischen die Kleiderstapel. Doch ihre Fingerspitzen trafen nicht auf das Holz des Truhenbodens. Sie fühlte noch einmal genauer. Was dort unten lag, war weich, es konnte ebenfalls Samt sein. Alarmiert ergriff Ursel den Stoffzipfel und zog ihn so vehement zwischen den anderen Kleidungsstücken hervor, dass einige davon über den Truhenrand purzelten. Verzeih mir, Ingrid!
    Sie traute ihren Augen kaum, als sie das rote Samtkleid erkannte, Irenes Festtagsrobe, die sie sich für den feierlichen Empfang hatte anfertigen lassen. Ursel zerrte weiter an dem edlen Stoff, das Gewand mit der ellenlangen Schleppe schien kein Ende zu nehmen. Endlich hatte sie es vollständig herausgeholt und konnte es genauer in Augenschein nehmen. Der blutrote Stoff war völlig zerknittert. Warum nur hatte Irene, die doch sonst so offenkundig ordentlich war, das schöne Kleid einfach zusammengeknäuelt auf den Truhenboden gestopft? Mit angehaltenem Atem fiel der Hurenkönigin ein, wie ihr Irene am Morgen nach dem Festgelage auf der Treppe begegnet war. Sie schien es sehr eilig zu haben und war kurz angebunden. Das kostbare Samtgewand war ganz fleckig gewesen, und Ursel hatte deswegen eine anzügliche Bemerkung gemacht, auf die Irene nicht eingegangen war.
    Ursel richtete sich auf und trat mit dem Kleid ans geöffnete Fenster, hielt es mit ausgestreckten Armen in das diffuse Tageslicht. Es fing bereits an zu dämmern. An den Ärmeln und auf der ganzen Vorderseite war der Stoff dunkel verfärbt. Lustflecken waren das jedenfalls keine. Sieht mir eher nach Rotwein aus , dachte sie. Ursel strich über die verfärbten Stellen, die sich ganz steif anfühlten. Sie hielt die Nase über den verschmutzten Stoff. Es roch seltsam. Irgendwie metallisch. Es roch nach … Eisen. Die Hurenkönigin erstarrte. Nach Blut!
    Ursels Knie wurden weich. Das Samtgewand glitt ihr aus den Händen, und sie musste sich am Fensterbrett abstützen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen rang sie nach Luft.
    Es ist das Blut von Claus Uffsteiner! Aber Jakob Fugger hat doch ausgesagt, dass Irene die ganze Nacht bei ihm war?
    Die Hurenkönigin war fassungslos vor

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