Die Hurenkönigin und der Venusorden
einlassen«, riss die Stimme des Rheinländers sie aus ihren peinigenden Gedanken. »Und er soll sich bloß nicht einbilden, dass sie es bloß so aus Spaß mit ihm machen würde. Sie bekäme ja jetzt schon den Ekel, wenn sie nur ansehen müsste, wie er sie anschmachtet.« Zornig schlug sich Winnie auf die Knie. »So was Gemeines wie die!«, schimpfte er. »Der hat es nicht gereicht, dass sie ihm das Herz zerbohrt. Die musste den Dolch auch noch genüsslich hin und her drehen, dieses Aas. Dabei hätte der Franz alles für sie getan, so sehr hat er sie geliebt!« Dem Barbier liefen die Tränen über die Wangen. »Wenn die gesagt hätte, er soll in den Main springen, dann wär der doch sofort gehüpft …«
»Das hat er ja dann auch getan«, erwiderte die Hurenkönigin mit düsterer Miene.
»Dieses Weibsbild hat ihn jedenfalls auf dem Gewissen!«, stieß der hagere Mann aus. »Und nach meinem Dafürhalten solltet Ihr als Gildemeisterin alles daransetzen, herauszufinden, welche Hure ihm das angetan hat – und sie dann mit einem ordentlichen Arschtritt vor die Tür setzen. Dabei helf ich Euch auch gerne …«
Ursel nickte gedankenversunken. »Ich glaube, ich weiß, um wen es sich handelt«, sagte sie leise. »Nur mit dem Arschtritt wird es nichts werden, sie hat das Frauenhaus nämlich schon verlassen.«
»So eine Scheiße!«, wetterte Winnie. »Dann sagt mir wenigstens, wie sie heißt und wie sie aussieht. Wenn ich sie unterwegs mal treffe, hau ich ihr die Backen voll!«
Die Hurenkönigin musste unwillkürlich grinsen über seine Großspurigkeit. »Sie heißt Irene – doch Euer Eifer wird Euch nicht viel nützen, denn sie ist so schön, dass es Euch den Atem verschlagen wird. Ihre Grazie wird Euch derart blenden, dass Ihr der Holden bestenfalls die Hand küsst«, erklärte sie mit nachsichtigem Spott. Dann bedankte sie sich bei dem verdatterten Mann und verabschiedete sich von ihm mit der Bemerkung, wenn er nach Ostern wieder nach Frankfurt komme, könne er im Frauenhaus ein Bier auf ihre Kosten trinken.
Als Ursel über den Marktplatz ging, fiel ihr Blick auf das Gasthaus »Zum Schwarzen Stern«, das sich am Rande des Römerplatzes befand. Obgleich es sie drängte, endlich wieder zu Bernhard zu kommen, entschloss sie sich, zunächst Irene dort einen Besuch abzustatten. Je näher sie der feudalen Fremdenherberge kam, desto stärker wurde ihr Unmut gegen die junge Ulmerin, die Franz so kaltherzig ins Unglück gestürzt hatte. Und auch Bernhard kam nicht von ihr los. Oder warum sonst hatte er im Fieberwahn ihren Namen geflüstert?
Die Hurenkönigin hielt unvermittelt inne. Mit welcher Verzweiflung Bernhard Irenes Namen ausgestoßen hatte! Sein Körper hatte sich unter dem Laken aufgebäumt, als würde er mit einem imaginären Gegner ringen.
Ursel blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: Es war nicht die Verliebtheit, sondern nackte Angst gewesen!
Warum hatte sie das nicht schon längst begriffen? Irene hatte kurz nach ihrer Mutter das Haus verlassen. Die gelbgewandete Hübscherin, die der Gassenmeister hatte wegrennen sehen, als er Bernhard fand, konnte auch sie gewesen sein.
Warum aber hätte sie das tun sollen? Sie hatte doch, im Gegensatz zu Alma, gar keinen Grund dazu, Bernhard so etwas Schreckliches anzutun …
Die Gedanken der Hurenkönigin überschlugen sich, jede neue Mutmaßung widersprach der vorherigen, und sie vermochte zu keiner Entscheidung zu gelangen.
Bleib auf dem Teppich, ermahnte sie sich streng.
Sie würde sich diese kaltherzige Schönheit jetzt einmal vorknöpfen und sie wegen Franz zur Rede stellen. Denn eines stand für Ursel zweifelsfrei fest: Irene hatte mehr Leichen im Keller, als ihre attraktive Fassade es vermuten ließ!
Immer war sie ungeschoren davongekommen. Damals, als der Mord an Uffsteiner passiert war, hatten sich alle gleich auf Alma gestürzt – und dieses Mal war es genauso. Widerwillig musste sich die Hurenkönigin eingestehen, dass sie selbst sich nicht anders verhalten hatte. Ihr Argwohn gegen Irene war bisher vor allem von der Angst gespeist worden, Bernhard an sie zu verlieren.
Hat geheult wie ein Schlosshund, das arme Ding, als ich ihr gesagt habe, was ihre Mutter verbrochen hat. Tat mir fast ein bisschen leid, die Kleine , gingen Ursel plötzlich die Worte des Gassenmeisters durch den Sinn. Grimmig drückte sie die Türklinke der Fremdenherberge »Zum Schwarzen Stern« nach unten.
Hinter dem Empfangstresen des
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