Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
nicht darüber berichtet, als Rachel die Gräber studiert hat‹, sagte Sol Weintraub. Er begann eine leise Melodie zu summen, als sich die Gruppe wieder durch den Sand in Bewegung setzte.
Am Anfang des Tals blieben sie stehen. Die sanften Dünen gingen in Felsen und pechschwarze Schatten an dem Hang über, der zu den leuchtenden Gräbern hinabführte. Niemand ging voraus. Niemand sagte etwas. Der Konsul spürte, wie das Herz in seiner Brust klopfte. Schlimmer als die Angst oder das Wissen, was sie erwartete, war die rabenschwarze Stimmung, die der Wind an ihn geweht zu haben schien, die ihn frösteln machte und den Wunsch erweckte, schreiend zu den Bergen zurückzulaufen, von denen sie gekommen waren.
Der Konsul wandte sich an Sol Weintraub. ›Was singen Sie Rachel für ein Lied?‹
Der Gelehrte grinste schief und kratzte sich den kurzen Bart. ›Es stammt aus einem uralten Flachfilm. Prä-Hegira. Ach was – Prä-Alles!‹
›Lassen Sie es hören‹, sagte Brawne Lamia, die begriff, was der Konsul bezweckte. Ihr Gesicht war leichenblaß.
Weintraub sang es, und zuerst war seine Stimme dünn und fast brüchig. Aber die Melodie war mitreißend und seltsam faszinierend. Pater Hoyt nahm die Balalaika zur Hand und spielte zunehmend sicherer dazu.
Brawne Lamia lachte. Martin Silenus sagte staunend: ›Mein Gott, das habe ich in meiner Kindheit gesungen. Es ist steinalt.‹ ›Aber wer ist der Zauberer?‹ fragte Oberst Kassad, dessen durch den Helm verstärkte Stimme in diesem Zusammenhang seltsam erheiternd wirkte.
›Und was ist Oz?‹ fragte Lamia.
›Und wer ist das auf dem Weg zu diesem Zauberer?‹ fragte der Konsul und spürte, wie die schwarze Panik in ihm etwas nachließ.
Sol Weintraub verstummte und versuchte, ihre Fragen zu beantworten, indem er die Handlung eines Flachfilms erzählte, der seit Jahrhunderten zu Staub zerfallen war.
›Vergessen Sie es‹, sagte Brawne Lamia. ›Sie können es uns später erklären. Singen Sie es einfach noch mal.‹
Hinter ihnen hatte die Dunkelheit die Berge eingehüllt, da das Gewitter herunter und über die Moore auf sie zustürmte. Immer noch blutete Licht vom Himmel, aber der östliche Horizont war etwas heller als der Rest. Die tote Stadt leuchtete zu ihrer Linken wie Zähne aus Stein.
Brawne Lamia übernahm wieder die Führung. Sol Weintraub sang lauter, Rachel kicherte entzückt. Lenar Hoyt schlug das Cape zurück, damit er besser Balalaika spielen konnte. Martin Silenius warf eine leere Flasche weit in den Sand hinaus und sang mit; seine Stimme klang überraschend voll und angenehm im Wind.
Fedmahn Kassad klappte das Visier hoch, schulterte das Gewehr und stimmte in den Chor ein. Der Konsul fing an zu singen, dachte über den absurden Text nach, lachte und fing noch einmal an.
Wo die Dunkelheit anfing, wurde der Weg breiter. Der Konsul ging nach rechts, Kassad kam zu ihm, Sol Weintraub füllte die Lücke aus, so daß die sechs Erwachsenen nicht mehr im Gänsemarsch hintereinander, sondern nebeneinander gingen. Brawne Lamia nahm Silenus' Hand in ihre und ergriff die von Sol Weintraub mit der anderen.
Lauthals singend, ohne sich umzudrehen, gingen sie im Gleichschritt in das Tal hinab.
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