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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sein, wir können nicht nur geschaffen worden sein, um so zu leiden.«
    Oh, Fanny, wenn du nur wüßtest! Wir sind genau für diese Art von Leiden geschaffen worden. Letzten Endes sind wir nicht mehr als diese klaren Gezeitenbecken des Bewußtseins zwischen tosenden Wogen des Schmerzes. Es ist unser Schicksal und Daseinszweck, die Schmerzen mit uns herumzutragen, sie fest an unseren Bauch zu pressen wie der junge Dieb aus Sparta ein Wolfsjunges, damit sie unser Innerstes zerfleischen können. Welches andere Geschöpf auf Gottes weiter Welt würde die Erinnerung an dich, seit neunhundert Jahren zu Staub zerfallen, mit sich herumschleppen und sich davon verzehren lassen, während die Schwindsucht dasselbe Ziel mit ihrer mühelosen Gründlichkeit verfolgt?
    Worte bestürmen mich. Beim Gedanken an Bücher empfinde ich Qualen. Dichtung hallt in meinem Kopf wider, und stünde es in meiner Macht, sie zu verbannen, täte ich es unverzüglich.
    Martin Silenus: Ich höre dich an deinem lebenden Kreuz der Dornen. Du singst Dichtung als ein Mantra und fragst dich dabei, welcher danteske Gott dich an diesen Ort verbannt hat. Einst hast du gesagt – ich war im Geiste dabei, als du deine Geschichte den anderen erzählt hast! – hast du gesagt:
    »Um Dichter, ein wahrer Dichter, zu werden, wurde mir klar, mußte man zum Avatar der Inkarnation der Menschheit werden; den Mantel der Poesie zu akzeptieren heißt, das Kreuz des Menschensohnes zu tragen, die Geburtswehen der Seelenmutter der Menschheit zu erleiden.
    Ein wahrer Dichter zu sein heißt, Gott zu werden.«
    Nun, Martin, alter Kollege, alter Kumpel, du trägst das Kreuz und erleidest die Wehen, aber bist du dem Gottsein damit näher gekommen? Oder kommst du dir nur wie ein armer Narr vor, dem ein drei Meter langer Stachel durch die Eingeweide gebohrt wurde und der nun kalten Stahl spürt, wo die Leber sein sollte? Es schmerzt, oder nicht? Ich spüre deinen Schmerz. Ich spüre meinen Schmerz.
    Letztendlich spielt es nicht die geringste Rolle. Wir haben geglaubt, wir sind etwas Besonderes, würden unsere Wahrnehmung auftun, unsere Empfindungen schmieden, den Kessel geteilten Leids auf die Tanzfläche der Sprache ergießen und dann versuchen, ein Menuett aus all dem chaotischen Leid zu machen. Es spielt nicht die geringste Rolle. Wir sind keine Avatars, keine Söhne von Göttern oder Menschen. Wir sind nur wir selbst, kritzeln unsere Täuschungen allein, lesen allein und sterben allein.
    Es tut gottverdammt weh. Der Brechreiz ist konstant, aber das Würgen fördert neben Galle und Schleim auch Fetzen meiner Lunge nach oben. Aus irgendwelchen Gründen ist es schwer, diesmal vielleicht noch schwerer. Das Sterben sollte eigentlich leichter werden, wenn man Übung hat.
    Der Brunnen auf der Piazza teilt seine idiotischen Laute der Nacht mit. Irgendwo da draußen wartet das Shrike. Wenn ich Hunt wäre, würde ich sofort aufbrechen – den Tod umarmen, wenn der Tod seine Umarmung darbietet –, und es hinter mich bringen.
    Aber ich habe es ihm versprochen. Ich habe Hunt versprochen, daß ich es versuchen würde.
     
    Ich kann die Megasphäre oder Datensphäre nicht erreichen, ohne dieses neue Ding zu passieren, das ich inzwischen als Metasphäre betrachte, und dieses Ding macht mir Angst.
    Hier herrschen weitgehend Weite und Leere, die sich sehr von den urbanen Analogielandschaften der Datensphäre des Netzes und den Biosphärenanalogons der Megasphäre des Core unterscheiden. Hier ist alles ... unruhig. Voll seltsamer Schatten und in Bewegung befindlicher Massen, die nichts mit den Intelligenzen des Core zu tun haben.
    Ich bewege mich rasch auf die dunkle Öffnung zu, die ich als primäre Farcasterverbindung zur Megasphäre sehe. (Hunt hat recht gehabt ... es muß irgendwo auf der Nachbildung der Alten Erde einen Farcaster geben ... schließlich sind wir per Farcaster hergekommen. Und mein Bewußtsein ist ein Phänomen des Core.) Demnach ist dies meine Lebenslinie, die Nabelschnur meiner Persönlichkeit. Ich trudle in den kreisenden Schwarzen Wirbel wie ein Blatt in einem Tornado.
    Etwas stimmt nicht mit der Megasphäre. Kaum daß ich herauskomme, spüre ich den Unterschied; Lamia hatte die Umwelt des Core als emsige Biosphäre des KI-Lebens wahrgenommen: Wurzeln der Intelligenz, fruchtbare Datenböden, Ozeane von Verbindungen, Atmosphäre des Bewußtseins und das summende, unablässige Hin- und Herbewegen von Aktivität.
    Jetzt ist diese Aktivität falsch, nicht kanalisiert, wahllos.

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