Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
die andere Richtung. Ihr könnt euch den Ärger nicht vorstellen, den ich mit dem Paradoxon-Rat hatte, bis er mir auch nur diese eine Begegnung genehmigt hat.«
»Paradoxon-Rat?« fragte Sol.
Rachel holte tief Luft. Sie war zurückgewichen, bis nur noch ihre Fingerspitzen die ihres Vaters berührten und sie beide die Arme ausgestreckt hatten. »Ich muß gehen, Dad.«
»Werde ich ...?« Er sah das Baby an. »Werden wir allein sein ... da oben?«
Rachel lachte, ein Geräusch, das Sol so vertraut war, daß es sich wie eine warme Hand um sein Herz legte. »O nein«, sagte sie, »nicht allein. Es gibt wunderbare Menschen dort. Wunderbare Dinge zu lernen und zu tun. Wunderbare Orte zu sehen ...« Sie sah sich um. »Orte, die wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten. Nein, Dad, du wirst nicht allein sein.
Und ich werde da sein. Mit meiner ganzen Teenagertolpatschigkeit und Pubertätsfrechheit.« Sie wich noch weiter zurück, ihre Finger lösten sich von denen Sols.
»Warte eine Weile, bis du durchgehst, Dad«, rief sie und trat in das Leuchten zurück. »Es tut nicht weh, aber wenn du durchgegangen bist, kannst du nicht mehr zurück.«
»Rachel, warte«, sagte Sol.
Seine Tochter wich weiter zurück, ihr langes Gewand wallte über den Steinboden, bis das Licht sie umgab. Sie hob einen Arm. »See you later, alligator!« rief sie.
Sol hob eine Hand. »After a while ... crocodile.«
Die ältere Rachel verschwand im Licht.
Das Baby erwachte und fing an zu schreien.
Es verging mehr als eine Stunde, bis Sol und die anderen zur Sphinx zurückkehrten. Sie waren ins Schiff des Konsuls gegangen, wo die Verletzungen von Brawne und Martin Silenus verarztet wurden. Sie aßen, und Sol und das Kind wurden für die Reise ausgerüstet.
»Ich komme mir albern vor, für eine Reise zu packen, die wahrscheinlich nicht mehr als ein Schritt durch einen Farcaster ist«, sagte Sol, »aber so wunderbar diese Zukunft auch sein mag, wenn es keine Babynahrung und Einwegwindeln gibt, haben wir echte Probleme.«
Der Konsul grinste und klopfte auf den prallen Rucksack auf der Treppe. »Damit müßten Sie und das Baby über die ersten zwei Wochen kommen. Wenn Sie bis dahin keine Windeln gefunden haben, versuchen Sie es in einem der anderen Universen, von denen Rachel gesprochen hat.«
Sol schüttelte den Kopf. »Ist das alles die Wirklichkeit?«
»Warten Sie ein paar Tage oder Wochen«, sagte Melio Arundez. »Bleiben Sie hier bei uns, bis die Lage einigermaßen geklärt ist. Es besteht kein Grund zur Eile. Die Zukunft wird immer da sein.«
Sol kratzte sich am Bart, während er das Baby mit einem Nahrungskonzentrat fütterte, das das Schiff hergestellt hatte. »Wir sind nicht sicher, daß dieses Tor immer offen sein wird«, sagte er. »Außerdem könnte ich den Mut verlieren. Ich bin schon reichlich alt, um noch ein Kind großzuziehen ... besonders als Mann in einer fremden Welt.«
Arundez legte die kräftigen Hände auf Sols Schultern. »Lassen Sie mich mit Ihnen kommen. Ich brenne vor Neugier, diesen Ort zu sehen.«
Sol grinste, streckte eine Hand aus und schüttelte die von Arundez fest. »Danke, mein Freund. Aber Sie haben Frau und Kinder im Netz – auf Renaissance Vector –, die auf Ihre Rückkehr warten. Sie haben Ihre eigenen Pflichten.«
Arundez nickte und sah zum Himmel. »Wenn wir zurückkehren können.«
»Wir werden zurückkehren«, sagte der Konsul sachlich. »Die altmodische Raumfahrt mit dem Hawking-Antrieb funktioniert noch, auch wenn das Netz für immer dahin ist. Es wird eine Zeitschuld von einigen Jahren kosten, Melio, aber Sie können zurück.«
Sol nickte, fütterte das Baby, legte sich eine saubere Stoffwindel auf die Schulter und klopfte dem Baby auf den Rücken. Er sah sich in dem kleinen Kreis um. »Wir haben alle unsere Pflichten.« Er schüttelte Martin Silenus die Hand. Der Dichter hatte sich geweigert, in das Bad der regenerierenden Nährlösung zu kriechen oder den Kortikalstecker chirurgisch entfernen zu lassen. »Ich habe das alles schon früher gehabt«, hatte er gesagt.
»Werden Sie an Ihrem Gedicht weiterschreiben?« fragte Sol ihn.
Silenus schüttelte den Kopf. »Ich habe es am Baum vollendet. Und ich habe dort noch etwas herausgefunden, Sol.«
Der Gelehrte zog eine Braue hoch.
»Ich habe gelernt, daß Dichter keine Götter sind, aber wenn es einen Gott gibt – oder etwas, das einem Gott gleichkommt –, ist er ein Dichter. Und zwar ein gescheiterter.«
Das Baby
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