Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Palastes des Shrike tragen konnte. Sie waren schon beim Eingang angelangt, als er ihr jovial auf den Rücken klopfte und sagte: »Was ist mit König Billy und den anderen?«
»Später«, keuchte Brawne Lamia und ging ins Licht der aufkeimenden Dämmerung hinaus.
Sie hatte hinkend zwei Drittel des Tals mit Silenus über der Schulter zurückgelegt, wo er wie ein schlaffes Bündel Wäsche hing, als der Dichter sagte: »Brawne, sind Sie noch schwanger?«
»Ja«, sagte sie und hoffte, daß es nach den Anstrengungen des Tages noch stimmte.
»Soll ich Sie tragen?«
»Seien Sie still«, sagte sie und folgte dem Weg um das Jadegrab herum.
»Sehen Sie«, sagte Martin Silenus, der sich umdrehte und deutete, obwohl er fast kopfunter von ihrer Schulter hing.
Im dämmernden Licht des Morgens sah Brawne, daß das Ebenholzraumschiff des Konsuls auf der Hochebene am Eingang des Tals stand. Aber dorthin hatte der Dichter nicht gedeutet.
Sol Weintraubs Silhouette zeichnete sich vor dem leuchtenden Eingang der Sphinx ab. Er hatte die Arme erhoben.
Jemand oder etwas kam aus dem Leuchten.
Sol sah sie zuerst. Eine Gestalt schritt inmitten der Fluten von Licht und flüssiger Zeit, die aus der Sphinx strömten. Eine Frau, sah er, deren Schattenriß sich vor dem gleißenden Tor abzeichnete. Eine Frau, die etwas trug.
Eine Frau, die einen Säugling trug.
Seine Tochter Rachel kam heraus – Rachel, wie er sie zuletzt als gesunde junge Erwachsene gesehen hatte, die aufgebrochen war, um ihre Doktorarbeit auf einer Welt namens Hyperion zu machen. Rachel Mitte Zwanzig, vielleicht ein bißchen älter – aber Rachel, daran konnte kein Zweifel bestehen, Rachel, deren kupferfarbenes Haar immer noch kurz war und ihr in die Stirn fiel, deren Wangen gerötet waren wie immer, wenn sie für etwas Neues Feuer und Flamme war, deren Lächeln sanft, fast verklärt wirkte und deren Augen – diese großen grünen Augen, in denen man gerade noch braune Sprenkel erkennen konnte, deren Augen Sol fixierten.
Rachel trug Rachel. Der Säugling wand sich und drückte das Gesicht an die Schulter der jungen Frau, wobei er die Fäuste ballte und entspannte und zu überlegen schien, ob sie wieder zu weinen anfangen sollte oder nicht.
Sol stand wie vom Donner gerührt da. Er versuchte zu sprechen, schaffte es nicht und versuchte es noch einmal. »Rachel.«
»Vater«, sagte die junge Frau, kam näher und legte dem Gelehrten den freien Arm um die Schultern, wobei sie sich ein wenig drehte, damit das Baby nicht zwischen sie geriet.
Sol küßte seine erwachsene Tochter, umarmte sie, roch den sauberen Duft ihres Haars, spürte ihre solide Wirklichkeit und hob dann das Neugeborene an die Schultern, dessen Zucken er spürte, ehe es Luft holte, um wieder zu weinen. Die Rachel, die er nach Hyperion gebracht hatte, war wohlbehalten in seinen Händen und runzelte das kleine rote Gesicht, während sie versuchte, den Blick ihrer ziellos kreisenden Augen auf das Gesicht ihres Vaters zu richten. Sol hielt ihren winzigen Kopf in der hohlen Hand, hob sie näher zu sich und studierte das kleine Gesicht einen Moment lang, ehe er sich der jungen Frau zuwandte.
»Ist sie ...«
»Sie altert normal«, sagte seine Tochter. Sie trug etwas, das teils Kleid und teils Robe war und aus einem weichen braunen Material bestand. Sol schüttelte den Kopf, sah sie an, stellte fest, daß sie lächelte und bemerkte dasselbe Grübchen links unterhalb des Mundes, das er auch an dem Baby sah, das er trug.
Er schüttelte wieder den Kopf. »Wie ... wie ist das möglich?«
»Es dauert nicht sehr lange«, sagte Rachel.
Sol beugte sich vor und küßte nochmals die Wange seiner erwachsenen Tochter. Er merkte, daß er weinte, wollte aber keine Hand loslassen, um sich die Tränen abzuwischen. Seine erwachsene Rachel nahm es ihm ab und strich ihm behutsam mit dem Handrücken über die Wangen.
Unter ihnen auf den Stufen war ein Geräusch zu hören, und Sol sah über die Schulter und erblickte die drei Männer vom Schiff, die mit vom Laufen roten Gesichtern dastanden, sowie Brawne Lamia, die dem Dichter Martin Silenus half, sich auf die weißen Platten der Geländersteine zu setzen.
Der Konsul und Theo Lane sahen zu ihnen auf.
»Rachel ...«, flüsterte Melio Arundez, dem Tränen in die Augen traten.
»Rachel?« sagte Martin Silenus stirnrunzelnd und sah Brawne Lamia an.
Brawne sah mit halb offenem Mund her. »Moneta«, sagte sie, deutete mit dem Finger auf sie und ließ ihn sinken, als sie
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