Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
»Ich gehe nachsehen«, sagt er. »Warten Sie hier, bis das Schiff eintrifft.«
»Gehen Sie nicht«, sagt Silenus. »Das ist wie in einem der beschissenen alten Horror-Holos, wo sie einer nach dem anderen ... he!« Der Dichter verstummt. Der Zelteingang wird zu einem Dreieck aus Licht und Lärm. Fedmahn Kassad ist fort.
Das Zelt fällt langsam zusammen, Heringe und Seile geben nach, als der Sand sich anhäuft. Der Konsul und Lamia, die sich ducken und brüllen, um sich über das Toben des Sturms hinweg verständlich zu machen, wickeln Hoyts Leichnam in seinen Mantel ein. Die Anzeigen des Medpack blinken weiterhin rot. Aber es fließt kein Blut mehr aus der behelfsmäßigen Tausendfüßlerklammer.
Sol Weintraub legt sein vier Tage altes Kind in die Trageschlaufe auf der Brust, wickelt den Mantel darum und duckt sich unter dem Eingang. »Keine Spur vom Oberst!« brüllt er. Vor seinen Augen schlägt ein Blitz in den ausgestreckten Flügel der Sphinx ein.
Brawne Lamia geht zum Eingang und hebt den Leichnam des Priesters hoch. Sie ist verblüfft, wie leicht er ist. »Bringen wir Pater Hoyt ins Schiff und zur MedEinheit. Dann machen sich einige von uns auf die Suche nach Kassad.«
Der Konsul zieht den Dreispitz tief ins Gesicht und schlägt den Kragen hoch. »Das Schiff verfügt über Tiefenradar und Bewegungsmelder. Es wird uns verraten, wohin der Oberst gegangen ist.«
»Und das Shrike«, sagt Silenus. »Wir dürfen unseren Gastgeber nicht vergessen.«
»Gehen wir«, sagt Lamia und steht auf. Sie muß sich gegen den Wind stemmen, damit sie vorankommt. Lose Enden von Hoyts Mantel flattern um sie, während ihr eigener Mantel hinter ihr herweht. Sie bahnt sich ihren Weg zum Ausgang des Tals im Licht der zuckenden Blitze und schaut sich nur einmal um, ob die anderen ihr folgen.
Martin Silenus geht vom Zelt weg, hebt Het Masteens Möbiuskubus hoch, und sein purpurnes Barrett wird vom Wind fort und in die Höhe gerissen. Silenus steht da, flucht eindrucksvoll und hört erst auf, als sich sein Mund mit Sand zu füllen beginnt.
»Kommen Sie!« ruft Sol Weintraub und legt dem Dichter eine Hand auf die Schulter. Sol spürt, wie ihm der Sand ins Gesicht weht und sich in seinem kurzen Bart festsetzt. Mit der anderen Hand bedeckt er die Brust, als müßte er etwas unvorstellbar Kostbares schützen. »Wenn wir uns nicht beeilen, verlieren wir Brawne aus den Augen.« Die beiden helfen sich gegenseitig, damit sie gegen den Wind vorankommen. Silenus' Pelzmantel wogt heftig, als dieser sich bückt und das Barett aufhebt, das im Windschatten einer Düne gelandet ist.
Der Konsul geht als letzter; er trägt seinen eigenen Rucksack und den von Kassad. Kurz nachdem er den kleinen Unterschlupf verlassen hat, geben die Heringe nach, Leinwand reißt, und das Zelt segelt von einem Heiligenschein statischer Elektrizität umgeben in die Nacht davon. Er stolpert die dreihundert Meter den Weg entlang, ab und zu die beiden Männer vor sich, aber häufiger verliert er den Weg aus den Augen und muß im Kreis gehen, bis er ihn wieder gefunden hat. Wenn der Sandsturm ein wenig nachläßt und die Blitze nacheinander in rascher Folge aufleuchten, sind die Zeitgräber hinter ihm zu erkennen. Der Konsul sieht die Sphinx, die nach mehrmaligen Blitzeinschlägen noch elektrisch leuchtet, dahinter das Jadegrab, dessen Wände leuchten, und dahinter den Obelisk, der nicht leuchtet, ein vertikaler Streifen reinstes Schwarz vor den Felswänden. Dann der Kristallmonolith. Von Kassad ist keine Spur zu sehen, obwohl die wandernden Dünen, der verwehte Sand und die plötzlichen Blitze den Eindruck erwecken, als würde sich vieles bewegen.
Der Konsul schaut auf, sieht jetzt den breiten Zugang zum Tal und die rasenden Wolken darüber und rechnet halb damit, den blauen Fusionsstrahl seines Schiffs herabsinken zu sehen.
Aber als er den Sattel zwischen Felswänden am Zugang des Tals erreicht, wo der Wind sich erneut auf ihn stürzt, sieht er die vier anderen zusammengekauert am Anfang der breiten, flachen Ebene, aber kein Schiff.
»Sollte es nicht schon da sein?« brüllt Lamia, als sich der Konsul der Gruppe nähert.
Er nickt, duckt sich und holt das Komlog aus dem Rucksack. Weintraub und Silenus stellen sich gebückt hinter ihn, um ihn etwas vor dem wehenden Sand abzuschirmen. Der Konsul holt das Komlog heraus, zögert und sieht sich um. Durch den Sturm sieht es so aus, als befänden sie sich in einem irren Zimmer, wo sich Wände und Decke jeden Augenblick
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