Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
sind.«
Ich erwiderte den Blick des Mannes, der Durés Freund gewesen war, obwohl er den Jesuiten wegen Apostasie nach Hyperion verbannt hatte. Ich mußte an einen anderen Flüchtling aus dem Neuen Vatikan denken, den jungen Lenar Hoyt, der tot in einem Zeitgrab lag, während die Kruziformparasiten und Träger der mutierten DNS von ihm selbst und Pater Duré ihr grimmiges Geschäft der Wiederbelebung betrieben. Wie paßte das Greuel der Kruziform in Teilhards und Durés Bild einer unausweichlichen, gütigen Evolution zur Gottheit hin?
Spenser Reynolds war offensichtlich der Meinung, daß sich die Unterhaltung lange genug außerhalb seiner Arena abgespielt hatte. »Das Wesentliche ist«, sagte er und übertönte mit seiner tiefen Stimme die anderen Unterhaltungen am Tisch, »daß die Kriegführung, genau so wie Religion und alle anderen menschlichen Unternehmungen, die Energien in dieser Größenordnung anzapfen und organisieren, ihre infantile Besessenheit mit dem Ding an sich aufgeben muß – die sich für gewöhnlich durch eine sklavische Faszination gegenüber ›Zielen‹ äußert – um statt dessen in der künstlerischen Dimension ihres eigenen Œuvres aufzugehen. Mein eigenes jüngstes Projekt zum Beispiel ...«
»Und welches ist das Ziel Ihres Kults, Monsignore Edouard?« fragte Tyrena Wingreen-Feif und nahm Reynolds den Ball der Unterhaltung ab, ohne die Stimme zu heben oder den Blick von dem Geistlichen abzuwenden.
»Der Menschheit zu helfen, Gott kennenzulernen und ihm zu dienen«, sagte er und aß seine Suppe mit einem eindrucksvollen Schlürfen leer. Der archaische kleine Priester sah den Tisch hinunter zur Projektion von Ratgeber Albedo. »Ich habe Gerüchte gehört, Ratgeber, wonach TechnoCore ein seltsam ähnliches Ziel verfolgen soll. Stimmt es, daß Sie versuchen, Ihren eigenen Gott zu erschaffen?«
Albedos Lächeln war perfekt darauf zugeschnitten, freundlich zu sein, ohne herablassend zu wirken. »Es ist kein Geheimnis, daß Elemente des Core seit Jahrhunderten daran arbeiten, zumindest das theoretische Modell einer sogenannten Künstlichen Intelligenz zu schaffen, die unsere eigenen armseligen Intellekte bei weitem übersteigt.« Er machte eine geringschätzige Handbewegung. »Das ist schwerlich ein Versuch, Gott zu erschaffen, Monsignore. Eher etwas in der Art eines Forschungsprojektes, welches die Möglichkeiten auslotet, in denen St. Teilhard und Pater Duré Pionierarbeit geleistet haben.«
»Aber Sie glauben, daß es möglich ist, Ihre eigene Evolution zu einem solchen höheren Bewußtsein hin zu betreiben?« fragte Kommandant Lee, der Seeheld, der aufmerksam zugehört hatte. »Eine Höchste Intelligenz zu schaffen, so wie wir einst Ihre primitiven Vorfahren aus Silizium und Mikrochips geschaffen haben?«
Albedo lachte. »Ich fürchte, so einfach oder grandios ist es nicht. Und wenn Sie sagen ›Sie‹, Kommandant, dann vergessen Sie bitte nicht, daß ich lediglich eine Persönlichkeit in einer Masse von Intelligenzen bin, deren Vielfalt der der Menschen auf diesem Planeten in nichts nachsteht ... sogar im Netz selbst. Der Core ist kein Monolith. Es gibt so viele Philosophien, Glaubensrichtungen, Hypothesen – Religionen, wenn Sie so möchten – wie in jeder mannigfaltigen Gemeinschaft.« Er faltete die Hände, als würde er sich über einen Insiderwitz freuen. »Ich würde es freilich vorziehen, die Suche nach einer Höchsten Intelligenz als ein Hobby zu betrachten, nicht als Religion. Etwa wie das Basteln von Buddelschiffen, Kommandant, oder Streitgespräche, wieviel Engel auf der Spitze einer Stecknadel Platz finden, Monsignore.«
Die Gruppe lachte höflich, abgesehen von Reynolds, der unbewußt die Stirn runzelte, während er sich zweifellos überlegte, wie er die Unterhaltung wieder an sich reißen konnte.
»Und wie sieht es mit den Gerüchten aus, wonach der Core auf der Suche nach der Höchsten Intelligenz eine perfekte Nachbildung der Alten Erde geschaffen hat?« fragte ich und setzte mich selbst mit dieser Frage in Erstaunen.
Albedos freundliches Lächeln geriet nicht ins Wanken, der freundliche Blick veränderte sich nicht, aber eine Nanosekunde lang wurde etwas von der Projektion übermittelt. Was? – Schock? Wut? Heiterkeit? Ich hatte keine Ahnung. Er hätte während dieser ewigen Sekunde privat mit mir kommunizieren und gewaltige Datenmengen über meine Core-Nabelschnur oder die unsichtbaren Korridore übermitteln können, die wir in der labyrinthartigen
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