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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Datensphäre, welche die Menschheit als so einfach konstruiert betrachtet, ausschließlich für uns selbst reserviert haben. Oder er hätte mich töten können, indem er sich mit den wie auch immer gearteten Göttern des Core verschwor, die die Umwelt für ein Bewußtsein wie meines kontrollierten – es wäre so einfach gewesen, als hätte der Leiter eines Instituts einem Techniker befohlen, eine Labormaus einzuschläfern.
    Die Unterhaltungen am Tisch waren verstummt. Selbst Meina Gladstone und ihre Schar Ultra-VIPs sahen in unsere Richtung.
    Ratgeber Albedo lächelte noch breiter. »Was für ein entzückendes, seltsames Gerücht! Sagen Sie mir, M. Severn, wie sollte jemand – noch dazu ein Organismus wie der Core, den Ihre eigenen Sachverständigen ›eine körperlose Bande von Gehirnen, amoklaufende Programme, die ihren Mikrochips entkommen sind und die meiste Zeit damit verbringen, intellektuelle Fusseln aus ihren nichtexistierenden Nabeln zu klauben‹ genannt haben – wie sollte so jemand eine ›perfekte Nachbildung‹ der Alten Erde erschaffen?«
    Ich sah zu der Projektion, sah durch die Projektion hindurch, und bemerkte zum ersten Mal, daß Albedos Geschirr und Essen ebenfalls Projektionen waren; er hatte gegessen, während wir gesprochen hatten.
    »Und«, fuhr er offensichtlich zutiefst amüsiert fort, »sind diejenigen, die dieses Gerücht verbreiten, noch nie auf die Idee gekommen, daß eine ›perfekte Nachbildung der Alten Erde‹ hinsichtlich sämtlicher praktischer Erwägungen die Alte Erde wäre? Welchen erdenklichen Nutzen könnte dieses Bemühen haben, wenn es darum geht, die theoretischen Möglichkeiten einer überlegenen Künstliche Intelligenz-Matrix zu erforschen?«
    Als ich nicht antwortete, senkte sich ein unbehagliches Schweigen über den gesamten Mittelteil des Tischs.
    Monsignore Edouard räusperte sich. »Mir scheint«, sagte er, »eine ... äh ... Gesellschaft, die eine exakte Nachbildung jeder Welt – besonders aber einer seit vier Jahrhunderten zerstörten Welt – schaffen könnte, Gott nicht suchen müßte; sie wäre Gott.«
    »Genau!« sagte Ratgeber Albedo lachend. »Ein irres Gerücht ... aber köstlich ... absolut köstlich!«
    Erleichtertes Gelächter füllte das Loch des Schweigens. Spenser Reynolds erzählte von seinem nächsten Projekt – einem Versuch, auf zwanzig Welten Selbstmörder dazu zu bringen, ihre Sprünge von Brücken zu koordinieren, während das All-Wesen zuschaute –, und Tyrena Wingreen-Feif riß die Aufmerksamkeit an sich, als sie einen Arm um Monsignore Edouard legte und ihn zu einer Nacktbadeparty nach dem Essen in ihrem schwimmenden Heim auf Mare Infinitus einlud.
    Ich merkte, wie Ratgeber Albedo mich ansah, drehte mich gerade noch rechtzeitig um, daß ich fragende Blicke von Leigh Hunt und der Präsidentin bemerkte und wandte mich dann den Kellnern zu, die die Vorspeise auf silbernen Tellern servierten.
    Das Dinner war exzellent.
     

15
     
    Ich ging nicht zu Tyrenas Nacktbadeparty. Und auch nicht Spenser Reynolds, den ich zuletzt in ernster Unterhaltung mit Sudette Chier sah. Ich weiß nicht, ob Monsignore Edouard Tyrenas Lockungen erlag.
    Das Dinner war noch nicht ganz vorbei, die Treuhandvorsitzenden hielten kurze Ansprachen, und viele der bedeutenderen Senatoren wurden bereits zappelig, als Leigh Hunt mir zuflüsterte, daß die Gruppe der Präsidentin aufbräche und meine Anwesenheit erforderlich wäre.
    Es war fast 23.00 Uhr Netzstandardzeit, und ich ging davon aus, daß die Gruppe ins Regierungszentrum zurückkehren würde, aber als ich durch das Einwegportal trat – ich war der letzte, abgesehen von den Prätorianerleibwächtern, die die Nachhut bildeten – stellte ich erschrocken fest, daß wir uns in einem langen Korridor mit Steinmauern befanden, hinter dessen langen Fenstern ein marsianischer Sonnenaufgang zu sehen war.
    Technisch gesehen gehört Mars nicht zum Netz; die älteste extraterrestrische Kolonie der Menschheit ist absichtlich sehr schwer zu erreichen. Pilger der Zen-Gnostiker, die zum Master's Rock in Hellas Basin reisen, müssen zur Station Heimatsystem 'casten und mit dem Shuttle von Ganymed oder Europa zum Mars fliegen. Diese Zumutung dauert nur wenige Stunden, aber in einer Gesellschaft, wo alles buchstäblich nur zehn Schritte entfernt ist, sorgt es für einen Hauch von Opfer und Abenteuer. Abgesehen von Historikern und Kakteenzüchtern gibt es kaum jemand, der aus beruflichen Gründen zum Mars müßte. Und da die

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