Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
sagte der FORCE-Offizier. Die Datensphäre flüsterte mir zu, daß es sich um Kommandant William Ajunta Lee handelte, einen Marinehelden aus dem Maui-Covenant-Konflikt. Er sah jung aus – schätzungsweise Mitte Fünfzig –, und sein Rang deutete darauf hin, daß diese Jugend auf jahrelanges Reisen zwischen den Sternen zurückzuführen war, und nicht auf Poulsen.
»Selbstverständlich veraltet«, erwiderte Reynolds lachend. »Glauben Sie, ein Bildhauer möchte den Ton besiegen? Greift ein Maler die Leinwand an? Und was das betrifft, greift ein Adler oder ein Falke den Himmel an?«
»Adler sind ausgestorben«, knurrte Morpurgo. »Vielleicht hätten sie den Himmel angreifen sollen. Der hat sie verraten.«
Reynolds drehte sich wieder zu mir um. Kellner räumten seinen restlichen, verschmähten Salat ab und servierten die Suppe, die ich gerade auslöffelte. »M. Severn, Sie sind doch Künstler ... zumindest ein Illustrator. Helfen Sie mir, diesen Leuten zu erklären, was ich meine.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Während ich auf den nächsten Gang wartete, klopfte ich an mein Weinglas. Es wurde unverzüglich wieder gefüllt. Vom Kopf der Tafel, zehn Meter entfernt, hörte ich Gladstone, Hunt und einige der Treuhänder lachen.
Spenser Reynolds schien meine Unwissenheit nicht zu überraschen. »Wenn unsere Rasse das wahre Satori erreichen will, wenn wir der nächsten Stufe des Bewußtseins und der Evolution teilhaftig werden wollen, die so viele unserer Philosophen verkünden, dann müssen alle menschlichen Verrichtungen bewußte Versuche werden, Kunst zu schaffen.«
General Morpurgo trank einen kräftigen Schluck und knurrte: »Einschließlich solcher Körperfunktionen wie Essen, Vermehrung und das Ausscheiden von Produkten, nehme ich an.«
»Gerade solche Funktionen!« rief Reynolds. Er breitete die Arme aus und schloß den langen Tisch und die zahlreichen Gaumenfreuden in die Geste ein. »Was Sie hier sehen, ist das animalische Bedürfnis, tote organische Produkte in Energie umzuwandeln, der grundlegende Akt, anderes Leben zu verzehren, aber das Treetops hat daraus eine Kunstform gemacht! Die Fortpflanzung hat ihre kruden animalischen Instinkte längst durch die Essenz eines Tanzes für zivilisierte Menschen ersetzt. Auch die Ausscheidung muß reinste Poesie werden!«
»Ich werde daran denken, wenn ich das nächste Mal scheißen gehe«, sagte Morpurgo grinsend.
Tyrena Wingreen-Feif lachte und wandte sich an den Mann in Rot und Schwarz rechts von ihr. »Monsignore, Ihre Kirche – katholisch, frühchristlich, richtig? Hat sie nicht eine entzückende alte Doktrin darüber, wie die Menschheit einen höheren evolutionären Status erreichen sollte?«
Wir drehten uns alle um und betrachteten den stillen kleinen Mann im schwarzen Gewand mit der seltsamen kleinen Mütze. Monsignore Edouard, Repräsentant einer fast vergessenen frühchristlichen Sekte, die heute auf die Welt Pacem und wenige Kolonialplaneten beschränkt war, stand auf der Gästeliste, weil er mit dem Förderungsprojekt für Armaghast zu tun hatte, und er hatte sich bisher stumm seiner Suppe gewidmet. Er blickte mit einem überraschten Gesicht auf, das von jahrelangem Einfluß von Wetter und Sorgen zerfurcht worden war. »Aber ja«, sagte er, »die Lehren von St. Teilhard sprechen von einer Evolution zum Punkt Omega.«
»Und ist dieser Punkt Omega identisch mit dem Ideal des praktischen Satori unserer Zen-Gnostiker?«
Monsignore Edouard sah sehnsüchtig auf seine Suppe, als wäre diese im Augenblick wichtiger als die Konversation. »Eigentlich besteht keine große Ähnlichkeit«, sagte er. »St. Teilhard war der Überzeugung, daß jegliches Leben, jede Stufe organischen Bewußtseins Teil einer geplanten Evolution mit dem Ziel letztendlicher Vereinigung mit der Gottheit war.« Er runzelte verhalten die Stirn. »Im Lauf der vergangenen acht Jahrhunderte ist der Standpunkt Teilhards einigen Veränderungen unterzogen worden, aber der rote Faden ist, daß wir Jesus Christus als Beispiel betrachten, wie eine Inkarnation des höchsten Bewußtseins auf der Ebene der Menschen aussehen könnte.«
Ich räusperte mich. »Hat nicht der Jesuit Paul Duré ausführlich über die Hypothesen von Teilhard geschrieben?«
Monsignore Edouard beugte sich nach vorn und sah mich über Tyrena hinweg direkt an. Sein interessantes Gesicht drückte Überraschung aus. »Ja, gewiß«, sagte er, »aber es erstaunt mich, daß Sie mit der Arbeit von Pater Duré vertraut
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