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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Fragen offen, und der Krieg war erst wenige Tage alt.
    Meina Gladstone hatte ihre Ansprache beendet und beschwor uns alle, das Essen zu genießen. Ich applaudierte höflich, winkte einem Kellner und ließ mein Weinglas füllen. Der erste Gang bestand aus einem klassischen Salat à la Kaiserzeit, über den ich mich begeistert hermachte. Mir wurde klar, daß ich seit dem Frühstück am Morgen nichts gegessen hatte. Während ich ein Büschel Brunnenkresse aufspießte, erinnerte ich mich an Generalgouverneur Theo Lane, der Speck und Eier und Laugenhörnchen gegessen hatte, während Nieselregen vom lapislazulifarbenen Himmel von Hyperion gefallen war. War das ein Traum gewesen?
    »Was meinen Sie zum Krieg, M. Severn?« fragte Reynolds, der Performancekünstler. Er saß mehrere Stühle von mir entfernt auf der anderen Seite der breiten Tafel, aber seine Stimme drang laut und deutlich herüber. Ich sah, wie Tyrena, die drei Plätze rechts von mir saß, eine Braue hochzog.
    »Was kann man schon zum Krieg meinen?« sagte ich und kostete wieder den Wein. Er war ziemlich gut, aber nichts im Netz kam meiner Erinnerung an französischen Bordeaux gleich. »Der Krieg verlangt nicht nach einem Urteil«, sagte ich, »lediglich nach dem Überleben.«
    »Im Gegenteil«, sagte Reynolds, »der Krieg ist, wie so vieles, das die Menschheit seit der Hegira verfeinert hat, im Begriff, zu einer Kunstform zu werden.«
    »Einer Kunstform«, seufzte eine Frau mit kurzgeschorenem kastanienfarbenem Haar. Die Datensphäre verriet mir, daß es sich um M. Sudette Chier handelte, die Frau von Senator Fjodor Kolchev und selbst eine ernstzunehmende politische Kraft. M. Chier trug ein blaues Kleid mit Goldlamé und drückte mit ihrer Miene gebanntes Interesse aus. »Krieg als Kunstform, M. Reynolds! Was für eine interessante Vorstellung!«
    Spenser Reynolds war ein wenig kleiner als Netzdurchschnitt, aber weitaus hübscher. Sein Haar war lockig, aber kurz geschnitten, die Haut schien von einer gütigen Sonne gebräunt worden und mit Körperfarbe leicht vergoldet worden zu sein, Kleidung und ARNistrie waren teuer und auffällig, ohne übertrieben zu wirken, und sein Gebaren drückte die entspannte Selbstsicherheit aus, von der alle Männer träumten und die nur die wenigsten wirklich empfangen. Daß er geistreich war, bewies er überdeutlich, er schenkte anderen aufrichtig seine Aufmerksamkeit, und sein Humor war Legende.
    Ich konnte den Hurensohn von Anfang an nicht ausstehen.
    »Alles ist eine Kunstform, M. Chier, M. Severn.« Reynolds lächelte. »Oder muß eine werden. Wir haben den Punkt überschritten, an dem die Kriegführung nur noch die ungehobelte Fortführung der Politik mit anderen Mitteln sein kann.«
    »Diplomatie«, sagte General Morpurgo links von Reynolds.
    »Pardon, General?«
    »Diplomatie«, sagte er. »Und er ist die Fortsetzung vom, nicht die Fortführung vom.«
    Spenser Reynolds verbeugte sich und drehte die Hand ein wenig. Sudette Chier und Tyrena lachten leise. Das Abbild von Ratgeber Albedo beugte sich links von mir nach vorn und sagte: »Von Clausewitz, soweit ich weiß.«
    Ich warf dem Ratgeber einen Blick zu. Eine tragbare Projektionseinheit, nicht viel größer als die leuchtenden Sommerfäden, die durch die Äste schwebten, verharrte zwei Meter über und hinter ihm. Die Illusion war nicht so perfekt wie im Regierungshaus, aber weitaus besser als jedes private Holo, das ich jemals gesehen hatte.
    General Morpurgo nickte dem Repräsentanten des Core zu.
    »Wie auch immer«, sagte Chier. »Der Einfall, Krieg als Kunstform zu betrachten, ist brillant.«
    Ich aß den Salat auf, worauf ein menschlicher Kellner den Teller abräumte und eine dunkelgraue Suppe servierte, die ich nicht kannte. Sie schmeckte geräuchert, schwach nach Zimt und Meer und war köstlich.
    »Kriegführung ist das perfekte Medium für einen Künstler«, begann Reynolds und hielt sein Salatbesteck schräg wie einen Schläger. »Und nicht nur für die ... Handwerker, die die sogenannte Wissenschaft des Krieges studiert haben.« Er lächelte Morpurgo und anderen FORCE-Offizieren rechts von dem General zu und klammerte sie damit aus seinen Überlegungen aus. »Nur jemand, der bereit ist, über den bürokratischen Horizont von Taktik und Strategie und den veralteten Willen zu ›siegen‹ hinausschaut, kann einem so komplizierten Medium wie der Kriegführung in unserer modernen Zeit wahre künstlerische Züge abgewinnen.«
    »Den veralteten Willen zu siegen?«

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