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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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muss ihr Leben leben.«
    »Aber warum ist sie mit … mit ihm weggegangen?«, sagte Sarai. »Sie kennt ihn doch kaum.«
    Sol seufzte und lehnte sich in die Sitzpolster zurück. »In zwei Wochen wird sie sich überhaupt nicht mehr an ihn erinnern« , sagte er. »Jedenfalls nicht so wie momentan. Aber versetz dich in ihre Lage, Mutter. Sie kämpft jeden Tag darum, sich in einer Welt zu orientieren, die verrückt geworden ist. Sie ist fünfundzwanzig Jahre alt und verliebt. Lass sie glücklich sein.«
    Sarai sah zum Fenster hinaus, dann betrachteten sie gemeinsam wortlos die rote Sonne, die wie ein Fesselballon am Rand von allem hing.

     
    Das zweite Semester war für Sol schon sehr weit fortgeschritten, als Rachel anrief. Es war eine einseitige Nachricht via Farcasterkabel von Freeholm, und ihr Ebenbild schwebte mitten in der alten Holonische wie ein vertrauter Geist.
    »Hi, Mom. Hi, Dad. Tut mir leid, dass ich in den vergangenen Wochen nicht geschrieben oder angerufen habe. Ihr wisst sicher, dass ich die Universität verlassen habe. Und Melio. Der Versuch, neue Vorlesungen zu besuchen, war einfach dumm. Ich hatte dienstags vergessen, worüber wir montags gesprochen hatten. Selbst mit Disks und Komlogsteckern war es ein aussichtsloser Kampf. Ich schreibe mich vielleicht wieder ins Vorsemester ein – da kann ich mich an alles erinnern! War nur ein Witz … Auch mit Melio war es einfach zu schwer. Sagen mir jedenfalls meine Notizen. Es war nicht seine Schuld, da bin ich ganz sicher. Er war sanft und geduldig und liebevoll bis zum Ende. Es ist nur … Nun, man kann eine Beziehung nicht jeden Tag ganz von vorne beginnen. Unsere Wohnung war voll von Fotos von uns, Notizen, die ich selbst über uns geschrieben hatte, Holos von uns auf Hyperion, aber … ihr wisst schon. Morgens war er ein vollkommen Fremder für mich. Am Nachmittag glaubte ich, dass wir ein Verhältnis gehabt hätten, auch wenn ich mich nicht erinnern konnte. Abends weinte ich in seinen Armen … und dann musste ich früher oder später ins Bett. So ist es besser.« Rachels Ebenbild machte eine Pause, wandte sich ab, als wollte sie den Kontakt unterbrechen, stabilisierte sich dann aber wieder. Sie lächelte. »Wie dem auch sei, ich habe die Schule eine Zeitlang verlassen. Das Med-Center auf Freeholm will mich die ganze Zeit haben, aber sie müssen sich hinten anstellen … Ich habe ein Angebot vom Forschungsinstitut auf Tau Ceti bekommen, das schwer abzulehnen ist. Sie bieten ein … ich glaube, sie nennen es ›Forschungshonorar‹. Es ist mehr, als wir für vier Jahre Nightenhelser
und die ganze Ausbildung an der Reichs zusammen bezahlt haben … Ich habe abgelehnt. Ich gehe immer noch ambulant hin, aber nach den RNS-Transplantreihen habe ich nur Blutergüsse und bin deprimiert. Ich bin natürlich nur deprimiert, weil ich mich morgens nicht mehr erinnern kann, woher die Blutergüsse stammen. Ha-ha. Wie dem auch sei, ich werde eine Zeitlang bei Tanya bleiben, und dann … Ich habe mir gedacht, dann komme ich vielleicht eine Weile nach Hause. Im Zweitmonat habe ich Geburtstag – ich werde wieder zweiundzwanzig. Unheimlich, hm? Jedenfalls ist es viel leichter, unter Bekannten zu sein, und ich weiß, ich habe Tanya kennengelernt, als ich mit zweiundzwanzig hierhergekommen bin … Ich glaube, ihr versteht schon. Also … ist mein altes Zimmer noch da, Mom, oder hast du es in einen Mah-Jongg-Salon verwandelt, wie du immer gesagt hast? Schreibt oder ruft mich an! Nächstes Mal gebe ich das Geld für Zweiweg aus, damit wir wirklich reden können. Ich wollte nur … Ich habe mir gedacht …«
    Rachel winkte. »Muss gehen. See you later, alligators. Ich habe euch beide sehr lieb.«
     
    Sol flog in der Woche vor Rachels Geburtstag nach Bussard City und holte sie vom einzigen öffentlichen Farcasterterminex des Planeten ab. Er sah sie zuerst – sie stand mit ihrem Gepäck neben der Blumenuhr. Sie sah jung aus, aber nicht nennenswert jünger als beim Abschied auf Renaissance Vector. Nein, dachte Sol, ihre Haltung war nicht mehr so selbstbewusst. Er schüttelte den Kopf, um solche Gedanken loszuwerden, rief ihren Namen und lief ihr entgegen, um sie zu umarmen.
    Als er sie wieder freigab, war ihr betroffener Gesichtsausdruck so deutlich, dass er ihn nicht ignorieren konnte. »Was ist denn, Süße? Was hast du?«

    Es war eine der wenigen Gelegenheiten, da er seine Tochter völlig ohne Worte gesehen hatte.
    »Ich … Du … Ich habe vergessen«,

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