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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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dritte die Herzgegend. Kopf und Rumpf rutschen an den stacheligen Ästen hinab, bis er auf dem Rücken im Schnee liegenbleibt. Der Schmerz in Brust und Lungen ist so stark, daß er nicht mehr atmen kann. Völlige Stille umfängt ihn. Minuten scheinen zu vergehen. Da stößt hoch über ihm ein Falke durch den Nebel und setzt sich auf eine der Kiefern, die hier am Rand der Böschung stehen. In die Taubheit von Weigandts Ohren dringt das hell lockende Ti-ti-ti-ti-ti des Raubvogels, das ihn aus seiner Betäubung weckt.
    Als der Stiefel des Unbekannten seinen Oberschenkel trifft, findet Weigandt den Druckknopf des Holsters. Er reißt die Waffe heraus und drückt ab. Der Mündungsknall wird von Nebel und Schnee geschluckt. Der Mann stößt einen rauhen Schrei aus, stolpert zurück und kippt wie ein Sack nach hinten in das schneeige Laub. Weigandt richtet sich auf und steht keuchend und zitternd über dem anderen. Das bleistiftdicke Einschußloch über dem Knie ist kaum zu sehen. Beim Austritt aber hat die Hohlspitzpatrone ein faustgroßes Loch in den Unterschenkel gerissen, aus dem eine Blutfontäne spritzt. Weigandt stellt sich genau über den Fremden und tritt ihm in die Hoden. Der schreit auf, preßt seine Hände zwischen die Oberschenkel und wälzt sich auf die Seite, wo er winselnd liegenbleibt. Weigandt preßt den Lauf der Glock gegen das Ohr des Mannes und drückt ab. Der Knall breitet sich in Wellen in der Winterlandschaft aus. Aus dem einen Ohr des Mannes beginnt ein Blutfaden zu rinnen. Weigandt sieht die Todesangst in den Augen des anderen. Er schaut ihm dabei zu, wie dieser sich mühsam aufrichtet und Anstalten macht, um sein Leben zu bitten. Schmauch, Rotz und Tränen vermischen sich auf dem Gesicht des Mannes und tropfen in den Schnee. Weigandt steht auf und sucht mit den Augen den Boden ab, bis er die Messinghülsen inmitten schmelzender Flocken findet. Der Mann erbricht einen gelben Schwall über seine Brust. Weigandt versetzt ihm mit dem Pistolengriff einen Schlag auf den Hinterkopf. Der andere fällt mit dem Kopf vornüber in sein Erbrochenes, rollt zur Seite und bleibt liegen.
    Weigandt sieht sich um. Der Kampf hat keine zehn Minuten gedauert. Der Parkplatz ist immer noch vollkommen verlassen. Bis auf den Geländewagen und seinen Toyota ist weit und breit nichts zu sehen. Er zieht den Mann mit aller Kraft in die Büsche hinein und durchsucht dessen Hosentaschen. Er findet Handy, Geldbörse und die Autoschlüssel. Weigandt gibt ihm einen kräftigen Tritt. Der Unbekannte kollert den steilen Hang hinunter, bis er sich im Gestrüpp verfängt. Dann packt Weigandt den erstaunlich schweren Hund an den Hinterläufen und schleudert ihn dem Mann hinterher.
    Er geht zum Parkplatz zurück. Was, wenn noch jemand in dem Geländewagen ist? Aber zum Überlegen ist es zu spät. Er entsichert die Pistole und läuft auf den Wagen zu. Er rechnet damit, daß sich jeden Augenblick eine Tür öffnet. Aber nichts regt sich. Er geht um das Fahrzeug herum, öffnet die Türen, nimmt den Fahrzeugschein aus dem Handschuhfach und eine Tasche aus dem Laderaum. Sonst ist nichts in dem Auto, das auf seinen Fahrer hindeuten würde.
    Als er wieder hinter dem Steuer sitzt, ist sein Rücken schweißnaß. Mit seiner Gelassenheit ist es vorbei. In ein paar Minuten wird der Mann genauso tot sein wie sein Hund. Es kann ein paar Stunden dauern, vielleicht einen Tag, aber dann wird irgend jemand die Böschung hinunterklettern und Herrn und Hund finden. Von da an wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Polizei alarmiert ist und eine Fahndung hinausgeht. Weigandts Hände zittern so stark, daß er kaum das Lenkrad halten kann. Der Schmerz in seinem Rücken breitet sich über seinen Oberkörper aus. Er läßt den Motor an und starrt im Vorbeifahren auf die Stelle, wo er den Hund getötet hat. Der stetig fallende Schnee hat bereits alle Spuren des Kampfes bedeckt.
    Die nächste Stunde fährt er, zwischen Lastern eingekeilt, auf der rechten Spur, um sich zu beruhigen. Er muß nachdenken. Er kann nur hoffen, daß ihn niemand gesehen hat. Zwischen dem ganzen Hoffen und Bangen steigt ein Geruch in seine Nase oder vielmehr die Erinnerung an einen Geruch, den er schon sehr lange nicht mehr gerochen hat. Es ist ein Aroma von staubigem Papier, von mürbem Leder, von einem in Frakturschrift bedruckten Buchrücken, ein Geruch, der das Bild eines verblaßten roten Buchdeckels vor seinem Augen erstehen läßt, auf dem ein Mann in Ritterrüstung zu

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