Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
Vom Netzwerk:
ganzen Schnickschnack enthielt, den unser Architekt eingeplant hatte, und den wir folglich für notwendig hielten. Unser Traumschloß kostete eine Million Mark, damals eine Menge Geld, und stand auf einem tausend Quadratmeter großen Grundstück in Hanglage mit Blick auf die Saar. Wir mußten jeden Monat sechstausend Mark Zinsen und Tilgung zahlen, und selbst Michael, der mit spitzem Bleistift und unter Ausnutzung sämtlicher Steuervorteile alles ausgerechnet hatte, gab zu, daß diese Belastung die Grenze dessen darstellte, was wir uns leisten konnten.
    Aber noch ging es uns gut, ja es ging uns sogar jedes Jahr besser. Michael war Geschäftsführer von Smith & Wyndham geworden, und bei mir riefen jeden Monat Headhunter an, die mir lukrative Posten bei der Konkurrenz anboten.
    Der Hausbau hatte uns zwei Jahre lang so sehr in Atem gehalten, daß unsere Differenzen fast verschwunden waren. Zwei Jahre lang waren wir ein Management-Team gewesen, das sich mit Architekten, Bauunternehmern, Handwerkern und Behörden herumgeschlagen hatte, um einen Traum zu verwirklichen. Als uns das gelungen war, kamen die alten Konflikte rasch wieder an die Oberfläche. Aber jetzt ging es nicht mehr nur um langweilige Theaterabende oder den Kauf eines neuen Autos – nein, jetzt ging es um ein wirklich ernstes Thema, nämlich um Familienplanung.
    Ich kann mich noch genau an den Abend erinnern, als Michael ankündigte, mit mir über etwas Wichtiges reden zu wollen. Nach dem Essen drehte er demonstrativ den Fernseher ab. Für ihn war es selbstverständlich, daß ihm meine ganze Aufmerksamkeit zu gelten hatte, wenn er mir etwas Wichtiges mitzuteilen wünschte. Was er mir sagte, haute mich tatsächlich vom Stuhl:
    „Ich denke, wir sollten jetzt eine Familie gründen.“
    Ich hörte zwar die Worte, aber ich verstand sie nicht.
    „Eine Familie gründen? Was soll das genau heißen?“
    „Na ja, das Haus ist gebaut, wir verdienen gut, und du bist ja schon Ende dreißig. Ab jetzt wird es doch immer schwieriger. Also sollten wir jetzt und ziemlich bald zwei oder drei Kinder bekommen, das soll es heißen.“
    Wir! Er sagte tatsächlich wir. Seinen galanten Hinweis auf mein Alter verschmerzte ich noch gerade so. Aber daß er ganz selbstverständlich annahm, ich würde nun im sauber geordneten Abstand von wenigen Jahren die mittelstandstypischen zwei Kinder bekommen und dann bis zum Schulanfang Hausfrau und Mutter spielen, das machte mich wütend.
    Klug und vorausschauend, wie er ist, hatte er natürlich alles schon bedacht, auch meine Einwände. Und wenn ich gar keine Kinder wollte?
    „Jeder will Kinder“, antwortete er schlicht.
    Wir wären gesund, und Kinder wären doch genau die Dimension im Leben, die uns noch abginge.
    „Wir haben Geld, ein schönes Heim, uns geht es gut – das alles will man doch jemandem hinterlassen.“
    Was bleibt denn von einem, fragte er wieder rhetorisch, wenn man keine Kinder hat? Wer soll denn das Haus mal kriegen – der Tierschutzverein?
    Es ist seltsam, ich mußte mich damals die ganze Woche mit zehn Mitarbeitern herumschlagen, die mir unterstellt waren, ich hatte Hunderte von Ärzten, Apothekern, Klinikdirektoren und Funktionäre diverser Verbände in meiner Kartei, mit denen es regelmäßig Streit gab – ich müßte also wissen, wie man sich gegen Männer durchsetzt. Und ich kann das auch. Nur mit Michael ist mir das nie gelungen. Es geht schon damit los, daß er immer aufsteht und im Zimmer auf- und abgeht, wenn er mit mir redet. Wenn er auf besonders kritische Punkte zu sprechen kommt, dann reckt er seine ganzen zwei Meter vor mir in die Höhe, zieht seine fleischige Stirn in tiefe Falten, senkt Augenbrauen und Mundwinkel in Richtung Boden und sieht mich lange und ernst an. Wenn er mich rumkriegen will, schreit er nie. Er weiß aus der Firma, daß sein fester Blick, seine unumstößlichen Meinungen und seine große Gestalt ganz von alleine ihre Wirkung tun. Und er gibt nie auf. Er stellt Fragen über Fragen. Bis ich nachgebe. Irgendwann gebe ich immer klein bei, auch wenn ich es überhaupt nicht will. Irgendwann bin ich so durcheinander, so erschöpft, so verzweifelt, daß ich zu allem ja und amen sage, nur damit er aufhört. So war es auch bei der Diskussion über Kinder. Irgendwann sagte ich zu ihm: Ja, es ist richtig, es wäre schön, wenn wir ein Kind hätten, eines wäre sicher auch bei uns möglich .
    Aber ich wollte nicht ein Kind, ich wollte überhaupt keins. Ich wollte meinen Beruf, meine Freiheit

Weitere Kostenlose Bücher