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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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    Wenn es sich bei unseren Differenzen nur um Auseinandersetzungen in Geschmacksfragen gehandelt hätte, dann hätte ich das noch akzeptiert. Aber unsere Konflikte gingen tiefer. Für mich ist die Wurzel unserer Probleme bis heute unser fehlendes gegenseitiges Vertrauen. Seit ich Michael kenne, ist es mir nie gelungen, ihm hundertprozentig zu vertrauen. Obwohl Jean-Yves mich betrog, beschwindelte und belog, hatte ich trotzdem immer das Gefühl, daß ich ihn durch und durch kannte und ihm vertrauen konnte, weil ich genau wußte, wie er war. Mit Michael ist mir das nie gelungen. Es gibt Momente, da denke ich mir, daß ich seit über zwanzig Jahren neben einem Fremden lebe, dessen wahre Gedanken und Gefühle ich nicht kenne und nie kennen werde.
    Und dann gab es da noch die Kleinigkeit, daß Michael mich schlug. Nie zuvor bin ich von einem Mann geschlagen worden, noch nicht einmal von meinem Vater. Bei Michael sah alles anders aus. Unsere Ehe war kein halbes Jahr alt, da knallte er mir eine, daß mir Hören und Sehen verging. Und warum? Weil ich zu ihm gesagt hatte, daß er wohl der einzige frischgebackene Ehemann sei, der seine Frau schon nach einigen Monaten im Bett vernachlässigte. Er entschuldigte sich, kaufte Blumen, schaute zerknirscht drein und versprach hoch und heilig, daß so etwas nie mehr vorkommen würde. Aber es geschah wieder und wieder. Er entschuldigte sich noch öfter, versprach jedes Mal, sich zu bessern, tat es aber nie. Tief in seinem Inneren dachte er wohl, daß er einer Frau, die ihm widersprach, ruhig eine knallen könnte.
    Ich weiß nicht, warum ich ihn damals nicht gleich wieder verlassen habe. Nie ist eine Ehe leichter zu scheiden als im ersten Jahr. Aber seltsam – keiner von uns erwähnte das Thema Scheidung auch nur mit einem Wort. Nie. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorging. Hatte er Angst, wieder alleine zu sein? Liebte er mich doch tief und innig? Oder lag es daran, weil er seinen Kollegen, seinen Freunden und seiner Familie gegenüber nie zugeben konnte, daß er mit etwas gescheitert war? Denn Michael gehen Konsequenz und Disziplin über alles. Michael würde nie eine Ausbildung abbrechen, durch eine Prüfung fallen oder einen Plan aufgeben. Es kann sein, daß er unsere Ehe als ein Projekt sah, das zu Ende gebracht werden mußte. Heute denke ich, er ist einfach aus Bequemlichkeit bei mir geblieben. Jetzt war er verheiratet, und da hatte er keine Lust, sofort wieder auf Suche zu gehen, denn Michael ist kein Typ, der in Discos auf Brautschau geht. Nein, als er die Heirat hinter sich gebracht und dieses Projekt sich nicht ganz so entwickelt hatte, wie erwartet, da startete er einfach ein neues: unser Traumhaus.
***
    Keine drei Monate nach der Hochzeit fing Michael an, an meiner Wohnung herumzunörgeln: Keine Parklätze, kein Grün, zu laut, zu klein, zu alt, im falschen Viertel.
    „Wir könnten doch bauen, oder?“
    Damals wußte ich noch nicht, daß dies, wie viele andere Fragen, die er stellte, eine rein rhetorische Frage war. Ich war natürlich ein bißchen beleidigt, daß wir meine Wohnung, die ich mit viel Geschmack, Aufwand und Geld eingerichtet hatte, verlassen sollten, aber eigentlich hatte ich nichts dagegen, mit Michael ein Haus zu bauen, denn ich spürte, daß ein solches Projekt wieder Schwung und Abwechslung in unsere Ehe bringen würde. Da wir beide entschlossen waren, irgendwann zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite des Saarlandes zu gehören – einer der wenigen Punkte, in dem wir uns immer vollkommen einig waren -, wollten wir ein großes, repräsentatives Haus bauen, was eine Menge Geld kosten würde. Da wir über kein Eigenkapital verfügten, würden wir eine enorme Hypothek aufnehmen und diese dann über viele Jahre abzahlen müssen. Und damit konnten wir eigentlich gar nicht früh genug anfangen.
    Ich träumte von einer alten Villa am Stadtrand mit großem Garten und alten Bäumen. Michael wollte in der Stadt bleiben und neu bauen. Ganz modern. Obwohl ich ihn zu zwanzig Objekten mitschleppte, hatte er von vornherein nur den einen Wunsch, mitten in Saarbrücken, und zwar in St. Arnual, einer Villengegend, ein Haus am Hang zu bauen, das wie Falling Waters von Frank Lloyd Wright aussehen sollte. Unser Architekt redete uns Falling Waters sehr schnell aus, aber wir bauten tatsächlich in St. Arnual. Im Herbst 1982 zogen wir in eine großes, modernes Haus mit Doppelgarage, das von der Fußbodenheizung über Schwimmbad, Sauna und Wäscheschacht den

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