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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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gutgelaunt zurück, daß ich andererseits froh war, daß er irgend etwas gefunden hatte, was ihm Spaß machte. Irgendwann gewann meine Neugier die Oberhand.
    „Hast du eine Stelle gefunden? Verdienst du wieder was? Oder was machst du?“
    „Wieso, brauchst du Geld?“
    „Hör auf mit deinem Sarkasmus. Es geht mir nicht ums Geld, sondern um dich und deine Gesundheit. Du solltest überhaupt nicht arbeiten.“
    „Es ist keine Arbeit, sondern eine freiwillige Beschäftigung. Und Aktivität ist besser für meine Gesundheit, als wenn ich den ganzen Tag hier rumsitze und zum Fenster hinausstarre.“
    „Und was tust du genau?“
    Er lehnte sich zurück, seufzte und schwieg einen Moment.
    „Du würdest es für einen absoluten Blödsinn halten, wie ich dich kenne. Die Arbeit ist nicht hart, aber seelisch anstrengend, und ich bekomme keine Mark dafür.“
    „Wenn du es mir nicht sagen willst ...“
    „Beim nächsten Mal fährst du am besten mit, dann kannst du dir selbst ein Urteil bilden.“
    Nach zwei Tagen nahm ich Urlaub und fuhr mit nach Zweibrücken. Am Stadtrand hielt er vor einem modernen Rundbau mit bunten, unregelmäßigen Fenstern, der einer Schule glich. An den Fenstern klebten Tiere und Figuren aus durchsichtigem Papier, vor dem Haus befand sich ein Kinderspielplatz mit weichem Tartanboden. Durch die hohen Türen waren schon von weitem Spielzeug, Stofftiere und bunte Lampions zu erkennen.
    Als wir auf das Haus zugingen, mußte ich plötzlich lachen.
    „Arbeitest du jetzt in einem Kindergarten?“
    Er sah mich ernst an und sagte dann: „In einem Kinderhospiz.“
    Als wir durch die Eingangstür gingen, nickte Michael einer älteren Frau in Schwesterntracht zu, deren strenger Blick sich in ein Lächeln verwandelte, als sie ihn erkannte. Durch eine breite Tür gelangten wir in einen Saal, in dem zehn oder elf Kinder auf Stühlen saßen, auf einem riesigen Wasserbett lagen oder mit Krücken durch den Raum gingen. Gleich das erste Kind kam auf Michael zu. Es war ein Junge, dessen Gesicht so aussah, als wäre er sieben oder acht Jahre, während sein Körper dem eines Vierjährigen glich. Er schaute uns aus tiefen Augenhöhlen ernst an. Michael setzte sich auf einen Schaumstoffsessel und nahm ihn in die Arme.
    „Und die Vampire, was machen die Vampire heute?“
    Der Junge blickte Michael traurig an, sagte aber kein Wort.
    „Die Vampire sind heute wieder schlimm, was?“
    Er nickte schwach.
    „Das ist Ingrid“, sagte Michael. „Ingrid ist meine Frau. Sag hallo zu Ingrid.“
    Der Junge sah mich an und flüsterte heiser etwas, das sich wie hallo anhörte. Er versuchte seinen rechten Arm zu heben, um mir die Hand zu geben, aber der Arm hing weiter schlaff an seinem Körper herunter.
    „Ingrid, das ist Daniel. Sag bitte hallo zu Daniel.“
    Ich begrüßte Daniel, vermochte aber nicht, Michaels lockere Ungezwungenheit aufzubringen. Ich mußte ständig auf Daniels Kopf blicken, der bis auf einen weißen Flaum kahl war. Rote Furunkel überzogen eine gelbliche Kopfhaut, die sich faltig um den kleinen Schädel spannte.
    Wir gingen weiter durch den großen Raum.
    „Was bedeutet das mit den Vampiren?“
    „Daniel hat Leukämie. Ich habe ihm erzählt, daß kleine Vampire sein Blut wegsaugen, wenn es ihm besonders schlecht geht.“
    Wir kamen in einen anderen achteckigen Raum, in dem Sauerstoff perlend durch bunte Plexiglassäulen strömte. Aus Lautsprechern erklang beruhigende Musik. Zwei Kinder in Schlafanzügen lagen auf dem Boden, der mit Matratzen bedeckt war.
    „Das ist der Ruheraum“, sagte Michael, „hier liegen die am schwersten kranken Kinder während des Tages. Die Musik und die Lichteffekte beruhigen und lenken sie von ihren Schmerzen ab.“
    Am Ende eines langen Ganges traten wir ins Freie auf eine große Terrasse, die in eine weite Rasenfläche überging, die sich den Hang hinunter bis zur Grundstücksgrenze zog. Pfade aus bunten Kieseln führten durch einen schön angelegten Garten zu einem Pavillon, vor dem eine breite Bank stand. Wir setzten uns und schauten in die herbstliche Sonne. In einem Blumenbeet staken große, bunte Windräder, die sich lustig drehten. Auf den Windrädern standen Vornamen.
    „Was sind das für Windräder?“
    „Diese Räder erinnern an die verstorbenen Kinder des Hospizes. Auf den Rädern stehen ihre Namen. Die Bewegung der Räder symbolisiert, daß ihre Seelen noch leben und daß wir hier an sie denken.“
    Ich sah Michael von der Seite an, scheu, fast ängstlich. Er

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