Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
von Kucha (Qizil und Qumtura) gibt es Darstellungen der Tocharer. Es waren hochgewachsene Menschen mit blonden oder rötlichen Haaren.
Ihre Sprache kennen wir aus buddhistischen Schriftdokumenten (Papiermanuskripte, hölzerne Tafeln, Graffiti auf Höhlenwänden), die in den Klosterruinen entlang der nördlichen Route der Seidenstraße gefunden wurden. Sie sind zwischen dem 6. und8. Jahrhundert n.Chr. entstanden. Darin treten zwei Hauptvarianten hervor: das sog. Tocharisch A, das sämtliche Endsilben aufgegeben hat, und das konservativere B. Eine dritte Variante (Tocharisch C) ist nur aus Lehnwörtern im mittelindischen Prakrit bekannt.
Aus diesen drei Varianten lässt sich ein Proto-Tocharisch erschließen, das offensichtlich einen eigenen Sprachzweig der indoeuropäischen Sprachfamilie darstellt. Es ist bemerkenswert, dass die engsten verwandtschaftlichen Beziehungen nicht zum Indo-Iranischen, sondern zu westlichen indoeuropäischen Sprachen bestehen (Mallory/Adams 1997: 590ff.). Zahlreiche lexikalische Parallelen verbinden das Tocharische mit dem Germanischen (vgl. tochar. A
want
‹Wind›: dt.
Wind,
tochar. A
ek
‹Auge›: schwed.
öga
‹dass.›).
Es bleiben zwei Optionen, um die Beziehungen der Tocharer zur Ürümchi-Kultur zu erklären. Entweder kamen die Tocharer im Zuge einer unabhängigen Fernwanderung aus der südrussischen Steppe ins Tarim-Becken – dann sind sie entfernte Verwandte der Ürümchi-Leute – oder sie sind deren direkte Nachkommen. Was immer die zukünftige Forschung zu den näheren Verwandtschaftsbeziehungen der beiden Gruppen ermitteln mag, eines wird bleiben: die Sensation einer prähistorischen Präsenz von Europäern im Westen Chinas.
Anatolien
Aus dem Gebiet im Nordwesten des Schwarzen Meeres, wohin die Indoeuropäer im 5. Jahrtausend v. Chr. mit der 1. Welle der Kurgan-Migrationen gelangten, sind indoeuropäische Populationen in einer sekundären Migrationsbewegung über den Bosporus nach Kleinasien eingewandert. Dort sind seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. eine Reihe indoeuropäischer Sprachen bezeugt, die als anatolischer (bzw. altanatolischer) Sprachzweig zusammengefasst werden. Alle diese Sprachen sind untergegangen. Zwei Gruppen mit jeweils näher zueinander stehenden Sprachen werden unterschieden (Mallory/Adams 1997: 12ff.):
Gruppe 1:
Hethitisch: Texte in mesopotamischer Keilschrift (16.–13. Jh. v. Chr.)
Palaisch: Substratwörter in hethitischen Texten überliefert
das jüngere Lydisch: mehr als 100 Inschriften in einer Variante des ostgriechischen Alphabets (5. und 4. Jh. v. Chr.)
Gruppe 2:
Luwisch: Texte in Keilschrift (16.–12. Jh. v. Chr.) und in der anatolischen Hieroglyphenschrift, «Bildluwisch» (16. Jh.–ca. 700 v. Chr.)
Lykisch, ein Ableger des Luwischen: rund 180 Steininschriften und ca. 200 Münzlegenden (5. und 4. Jh. v. Chr.)
Karisch: Texte in mehr als 200 Inschriften (8.–3. Jh. v. Chr.), geschrieben in einer lokalen Schriftart mit Zeichenparallelen in der griechischen und kyprisch-syllabischen Schrift
Außerdem:
Phrygisch: ein eigener altanatolischer Sprachzweig (Altphrygisch vom 8.–4. Jh. v. Chr. in phrygischer Schrift; Spätphrygisch vom 1.–4. Jh. n. Chr. in griechischer Schrift)
Die Identifizierung des Hethitischen als indoeuropäische Sprache gelang zweifelsfrei erst 1915, nachdem Sprachforscher das im Jahre 1905 bei Bogazköy (Türkei) entdeckte Tontafelarchiv der Hauptstadt des hethitischen Reichs, Hattusa, auswerten konnten.
Auch wenn Luwisch und Hethitisch am engsten miteinander verwandt sind, gehören sie aufgrund ihrer Lautgeschichte zu verschiedenen Gruppierungen. Das Hethitische ist eine Centum-Sprache (wie auch das Lateinische oder die germanischen Sprachen), es hat also die palatalen Verschlusslaute des Indoeuropäischen erhalten (vgl. hethit.
kardi-
‹Herz›: lat.
cor
: griech.
kardia
: got.
haírto,
alle ebenfalls ‹Herz›). Das Luwische dagegen gehört zu den Satem-Sprachen, die die palatalen Verschlusslaute des Indoeuropäischen nicht erhalten haben (vgl. luw.
zart-
‹Herz›: avest.
zered-
: russ.
serdce
: lett.
sirds,
alle ebenfalls ‹Herz›).
Die hethitische Mosaikkultur. Die Hethiter werden um 1950 v. Chr. erstmals in assyrischen Texten erwähnt. Nach ihrer Einwanderung in Anatolien (Kernland war Kappadokien) trafen sie auf eine bodenständige vorindoeuropäische Bevölkerung, die Hatti, die die nach ihnen benannte Landschaft Chatti bevölkerten (Watkins 2001). Die Hatti
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