Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Wesentlichen islamisch. Islamische Traditionen und Lebensweisen sind bei den Iranern tief verwurzelt und haben ihr kulturelles Gedächtnis seit langem geprägt. Beim Blick in die Geschichte hebt sich die Glorie des Persischen Großreichs ab. Die kulturell-sprachlichen Gemeinsamkeiten der Prähistorie mit den Ariern Indiens bleiben gleichsam verschüttet, und mit den weltanschaulichen Gegensätzen von Islam und Hinduismus bauen sich unüberbrückbare Barrieren auf.
Das Persische gehört zum Kreis der alten Schriftsprachen der Welt; die ältesten persischen Texte, die Königsinschriften von Dareius I. in Bisotun, stammen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Altpersisch war die Kanzlei- und Bildungssprache während der Zeit der achämenidischen Herrscher (559–331 v. Chr.). Es wurde in einer Variante der Keilschrift geschrieben. Unter den Sassaniden im Mittleren Osten dominierte das Mittelpersische, für das das sog. Pehlevi (Pahlavi) verwendet wurde, eine vom aramäischen Zeichensystem abgeleitete Schrift. Das moderne Persisch geht auf eine Entwicklung des 7. bis 9. Jahrhunderts zurück, als sich eine persische Koiné (Gemeinsprache) ausbildete. Die beiden Hauptvarianten sind Dari und Farsi. Seit dem 12. Jahrhundert schreibt man in einem modifizierten arabischen Alphabet.
6. Indoeuropäische Außenlieger (ab ca. 2000 v. Chr.)
Die Auflösung des sprachlich-kulturellen Komplexes des Proto-Indoeuropäischen führte zu einer geographischen Zersplitterung und gleichzeitig zur Ausdehnung des ehemaligen Siedlungsgebietes. Die Westbewegung von Steppennomaden – zunächst von kleineren Elitegruppen, später auch von ganzen Sippen und Clans – hatte die Fusion indoeuropäischer Sprache und Kulturmit den Einflüssen Alteuropas zur Folge (s. Kap. 4). Die Ostbewegung brachte indoeuropäische Populationen nach Zentralasien, und von dort bis ins iranische Hochland und nach Indien (s. Kap. 5).
Einige Gruppen aber folgten eigenen Routen, die von den Hauptrichtungen abwichen. Auf diese Weise gelangten Indoeuropäer nach Anatolien und weit nach Asien hinein, bis in die Region des Altai-Gebirges und ins Flusstal des Jenisej. Dort entwickelte sich auf der Basis der proto-indoeuropäischen Steppenkultur die regionale Afanasevo-Kultur (ca. 3500–2000 v. Chr.). Deren Nachfolger war die Andronovo-Kultur, die sich vom Kaspischen Meer über den größten Teil Zentralasiens ausdehnte.
Westchina
Das Mysterium der Mumien von Ürümchi. Aus bisher ungeklärten Gründen ist eine Gruppe von Steppennomaden, die mit der Afanasevo-Kultur affiliiert war, in den Süden gezogen, bis an den Rand der Taklimakan-Wüste (geographisch auch als Tarim-Becken bekannt), einem Ausläufer der Wüste Gobi. Diese Gruppe lebte fortan getrennt von der europäischen Steppenkultur wie in einer Exklave und verlor den Kontakt zu anderen Indoeuropäern.
Trotz ihrer isolierten geographischen Lage weiß man weit mehr über diesen Außenlieger als über viele andere lokale Gruppen der Steppennomaden. Die Taklimakan-Wüste gehört administrativ zur Autonomen Region Xinjiang im Westen Chinas. Das ist das Stammland der Uighuren, eines Turkvolks mit islamischer Tradition, das im Verlauf des 1. Jahrtausends unserer Zeitrechnung in jene Region migrierte. In den 1970er Jahren fanden chinesische Archäologen bei Ürümchi (Urumqi) zahlreiche Mumien in Erdgräbern, die in der extremen Trockenheit sehr gut konserviert geblieben waren. Wohlerhalten waren nicht nur die Textilien, in die man die Leichname gehüllt hatte, sondern auch die Körper und die Gesichtszüge. Zur großen Überraschung der Ausgräber zeigten die Mumien keine chinesischen oder asiatischen Merkmale, sondern wiesen eindeutig auf europideHerkunft hin. Es sind inzwischen mehr als hundert Mumien ausgegraben worden, von denen die ältesten aus der Zeit um 2000 v. Chr. stammen, falls sie nicht noch älter sind. Diese sensationellen Funde sind als die Mumien von Ürümchi bekannt geworden (Mallory/Mair 2000), benannt nach der Hauptstadt der Region Xinjiang.
18 Die «Schöne von Loulan» (Mumie und rekonstruierte Gesichtszüge) (nach Mallory/Mair 2000: 182)
Einige dieser Mumien sind so eindrucksvoll individualistisch, dass sie von den Forschern mit Namen bedacht wurden. Da ist der Cherchen-Mann, dessen Gesichtsbemalung mit abstrakten Motiven erhalten geblieben ist; er hatte mittelbraunes Haar, einen kurzen Kinnbart und einen Schnurrbart. Sein Unterkiefer war mit einem gewebten Band festgebunden. Der
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