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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wurde die Überzeugung bestraft, daß Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten keine Sünde darstellte und Männer nicht entehrte. Die Existenz von Bordellen, die bis weit ins 17. Jahrhundert geduldet wurden, war eine stete Quelle der Übertretung dieser moralischen Norm. Ebenfalls in die Zuständigkeit der Inquisition fiel die Bigamie, ein Delikt, das im vormodernen Europa häufig vorkam – vielleicht nicht weiter überraschend angesichts fehlender Scheidungsmöglichkeiten und mangelnder Möglichkeiten zur überregionalen Fahndung nach entlaufenen Ehemännern und -frauen. Schließlich wurden von der aragonesischen Inquisition in außergewöhnlicher Vielzahl die verschiedenen Formen der Sodomie geahndet, worunter die Zeitgenossen alle Formen unnatürlicher Sexualität verstanden, also vor allem Homosexualität, aber auch sexuellen Verkehr mit Tieren. Allein in Saragossa wurden zwischen 1571 und 1579 über einhundert Männer der Sodomie angeklagt, übrigens ausnahmslos Ausländer! Zwischen 1570 und 1630 kamen insgesamt 923 Personen deswegen vor die Inquisitionstribunale von Saragossa, Valencia und Barcelona; davon wurden 170 zum Tode und weitere 288 zur Galeere verurteilt. Die Hinrichtungen wegen Sodomie allein machen damit über die Hälfte aller in den Archiven der
Suprema
überlieferten Exekutionen durch diese drei Gerichtshöfe aus.
    Alle der beschriebenen Delikte konnten prinzipiell auch in die Zuständigkeit weltlicher Gerichte fallen, von den konkurrierenden geistlichen, etwa bischöflichen, Jurisdiktionsgewalten ganz zu schweigen. So unterschied das Handbuch des Nikolaus Eymericus z.B. zwischen einfacher Gotteslästerung, die weltlich gestraft werden solle, und
blasphemia haereticalis
, die vor das Inquisitionstribunal gehöre. Tatsächlich aber hatten die meisten Flucher und Lästerer, die vor den Inquisitoren landeten, keinerlei ketzerische Intentionen. Die zumeist milden Strafen der Ketzerrichter bezeugen, daß diesen das sehr wohl bewußt war. Handfeste materielle Interessen mögen eine Ursache für diesen jurisdiktionellen Imperialismus gewesen sein. Nachdem seit etwa 1530 die primäre Zielgruppe der
Conversos
geschrumpft war, sah sich die Inquisition von Toledo nach neuen Opfern um und begann in den Jagdgründen bischöflicher und anderer Gerichte zu wildern. Insgesamt aber ordnet sich das Vorgehen der spanischen Inquisition auf den geschilderten Feldern in das Tätigkeitsprofil aller geistlichen wie weltlichen Gerichte ein, die als Transmissionsriemen zur Durchsetzung rechtgläubigen Denkens und Handelns im Zeitalter der Konfessionalisierung eingesetzt wurden. In ganz Europa läßt sich bis weit in die Frühe Neuzeit ein Abweichen der populären Religion und Frömmigkeitspraxis von der theologisch sanktionierten Elitenkultur beobachten. Und überall waren die Konfessionen – die Protestanten etwas früher, die Katholiken etwas später – damit beschäftigt, eine «Fundamentalverchristlichung» (Delumeau) des Alltagslebens zu erreichen. Auch die spanische Inquisition beteiligte sich an diesem Vorhaben, wobei sie sich besonders auf die Laien konzentrierte, die bischöflichen Institutionen eher auf den Klerus. Im Bemühen um umfassende religiöse Disziplinierung und Formierung einer katholischen Identität ging ihr Wirken so weit über die bloße Ketzerbekämpfung hinaus.

V. Die Römische Inquisition der Neuzeit
    Die mittelalterliche Inquisition – obwohl faktisch nur in einigen Regionen zur Entfaltung gekommen – verkörperte den universalistischen Anspruch der Papstkirche. Dieser Anspruch bestand über die Epochengrenze hinweg fort, wurde jedoch in der Realität mehr denn je durch verschiedene Machtfaktoren in Frage gestellt. Dazu zählt nicht allein der Protestantismus, der sich nicht mehr als «Ketzerei» regional begrenzen und besiegen ließ, sondern sich in halb Europa als neues, konkurrierendes christliches Bekenntnis etablierte. Mindestens ebensosehr wurde der Anspruch des Papsttums durch das Selbstbewußtsein weltlicher Herrscher überall in Europa untergraben, die keinerlei Unterordnung unter die geistliche Gewalt der Kurie mehr hinnehmen wollten. In Frankreich ernannte der Monarch de facto seine Bischöfe, besteuerte die Kirche und schränkte die kirchliche Gerichtsbarkeit ein (Gallikanismus), in England wurde der König mit der Suprematsakte von 1534 zum Oberhaupt der Kirche. Letztlich verkörperte auch die Spanische Inquisition – obwohl von der Legitimität des Papstes gedeckt –

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