Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
wurden, konnten die anderen Delinquenten oft erst an ihrem Platz in der Prozession die ihnen zustehende Strafe ablesen. Der Glaubensakt selbst fand in großen Kirchen statt oder auf zentralen Plätzen wie der Plaza Mayor in Madrid und Valladolid. Oft waren hier aufwendige Tribünen errichtet worden. Nach einer Messe und der Predigt, wobei häufig traditionelle antijüdische Stereotype variiert wurden, folgte ein Treueid aller Anwesenden gegenüber der Inquisition. Kern der Veranstaltung war die Verlesung der Urteilsentenzen, die detailliert für jeden Einzelfall Vergehen und Strafe darlegten. Als Finale folgte das Ritual der Abschwörung, bei der die Büßer wieder in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wurden. In direktem Anschluß daran, aber an einem anderen Ort (gewöhnlich vor der Stadt) und unter der Ägide der weltlichen Obrigkeit schlossen sich etwaige Hinrichtungen an. Auf verschiedenste Art wurde die kollektive Erinnerung an die Glaubensakte bewahrt, etwa durch Flugblätter, vor allem aber durch die Ausstellung der
Sanbenitos
in den jeweiligen Pfarrkirchen – Sinnbild für die trotz Rekonziliation befleckte Ehre der Ketzer und für den Sieg der Rechtgläubigkeit.
Aus der Rückschau erscheint das Verfahren der Spanischen Inquisition nach den Maßstäben der Zeit weder als besonders grausam und menschenverachtend noch weniger rechtsförmig als das vor anderen Gerichtshöfen. Im Gegenteil heben sich, wiewir gesehen haben, gewisse Elemente sogar positiv ab. Dennoch wäre es leichtfertig, den schlechten Ruf bei den Zeitgenossen lediglich als falsches Bewußtsein abzutun. Neuchristen und Nichtkatholiken hatten allen Grund, sich vor der Inquisitionsjustiz zu fürchten. In der ersten Phase ihrer Existenz und erneut im 17. Jahrhundert verfolgte sie vielerorts insbesondere die
Conversos
unerbittlich und bestrafte sie außerordentlich hart. Dabei neigte sie zumindest zum Teil dazu, die Delikte, die sie bestrafte, erst im Laufe des Verfahrens zu konstruieren. Dazu kam die Bedrohung der Verdächtigen mit Güterkonfiskationen. Geheimhaltung schließlich war zwar das Charakteristikum jedes von Amts wegen betriebenen Ermittlungsverfahrens im vormodernen Europa. Aber die Obsession der Spanischen Inquisition in dieser Richtung war besonders ausgeprägt und leistete einer – positiven wie negativen – Mythologisierung Vorschub.
Religiöse Disziplinierung der Altchristen: Das Autodafé zeigt anschaulich, wie sehr die Inquisition die spanische Mehrheitskultur verkörperte. Aber es gibt auch eine Kehrseite: Die Bewahrer der Rechtgläubigkeit setzten sich nicht nur auf die Spur von herkömmlichen Häretikern, verkappten Juden, Muslimen oder Protestanten. Mehr als ihre Vorgängerinnen wuchs sie auch in die Rolle eines Gerichtshofes zur Ahndung religiöser Abweichung unter den Altchristen hinein und nahm damit Funktionen wahr, die in anderen Regionen Europas von geistlichen Gerichten oder der weltlichen Obrigkeit ausgeübt wurden. Tatsächlich wurden sechs von zehn Personen zwischen 1560 und 1700 nicht wegen krypto-jüdischer, krypto-muslimischer oder protestantischer Neigungen, sondern wegen Vergehen wie Gotteslästerung, häretische Äußerungen, Aberglauben oder schlicht Bigamie angeklagt.
Den größten Posten bildeten dabei die Verbaldelikte. Nahezu ein Drittel aller zwischen 1578 und 1635 vor der Inquisition in Barcelona angeklagten Personen waren in Schwierigkeiten nicht, weil sie etwas Falsches getan, sondern weil sie etwas Falsches gesagt hatten – kein Wunder in einer Epoche, wo kraftvollen Worten wie Flüchen oder auch Segenssprüchen reale Wirkungenzugeschrieben wurden. Verbaldelikte wurden von der Inquisition meist unter dem Rubrum
propositio
, also etwa häretische Thesenbildung, geführt. Den größten identifizierbaren Einzelposten stellten dabei Gotteslästerungen dar, nach der traditionellen Definition der Theologen die Beleidigung Gottes und seiner Helfer. Vor dem Tribunal von Toledo wurden Mitte des 16. Jahrhunderts Hunderte, wenn nicht Tausende von Lästerern angeklagt und – meist milde – bestraft. Ein zweites wichtiges Segment der inquisitorischen Ermittlungen betraf die populäre Magie, die vielfältigsten Formen von Segenssprecherei, Wahrsagen, Schatzgraben, Heilmagie bis hin zur Zauberei und Hexerei – ein Komplex, der uns später gesondert beschäftigen soll.
Einen dritten großen Block religiöser Devianz schließlich stellten die Sitten- und Sexualdelikte dar. Als «einfache Unzucht»
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