Die Insel der Albträume und andere unbedingt geheim zu haltende Dinge
eine halbe Ewigkeit. Schließlich schaute er in die Runde.
„Äh, was ist eigentlich ein U-Boot?“
Rocky schloss genervt die Augen.
„Ein U-Boot ist ein Unterwasserfahrzeug“, versuchte Myrte zu erklären.
„Ach so, sagt das doch gleich. Ein Unterwasserfahrzeug würde ich in der ,Größten Angst‘ verstecken!“, verkündete Armstrong, als sei dies das Natürlichste und Logischste der Welt.
„In der ,Größten Angst‘?“, wollten alle gleichzeitig wissen.
„Die Größte Angst“ war – laut Armstrong – eine längst vergessene Höhle, die das Meer im Laufe der Jahrtausende in den Fels der Albtrauminsel gespült hatte. Sie sei durch einen versteckten Eingang von Land und vom Meer aus zu erreichen. Früher habe sie noch „Eitriger Pickel“ geheißen, weil bei Sturm das Meer durch den landseitigen Eingang gepresst wurde, sodass die Gischt wie „Eiter aus einem Pickel“ schoss. Aber weil in der Höhle immer wieder Nachtmahrkinder beim Spielen verunglückten, habe man sie schließlich „Größte Angst“ genannt. Das sollte den Kindern Angst einjagen und sie fernhalten.
„Moment mal.“ Rocky war ins Grübeln gekommen. „Was hat Dr. Hahn gleich noch mal in seinem Buch geschrieben?“
Myrte verstand offenbar sofort, worauf er hinauswollte.
„Man findet die Insel der Träume, wenn man DIE Größte Angst erkennt, und verlässt sie, wenn man DIE GRÖSSTE ANGST überwindet!“, zitierte sie. „Ich werde verrückt. Das war übertragen gemeint!“
Rocky funkelte Leschnikov wütend an.
„Und ich wäre fast in die Höllengurglerschlucht gesprungen.“
„Woher hätte ich denn wissen sollen, dass die ,Größte Angst‘ eine Höhle ist“, verteidigte sich Leschnikov.
„Ich habe Myrte geküsst!“, legte Rocky nach.
Myrte stemmte empört die Fäuste in die Hüfte.
„Hey! Der Kuss war gar nicht ernst gemeint?“
Rocky wurde heiß und kalt zugleich.
„Ja! Nein! Ja! Äh … Armstrong, weißt du, wo sich der versteckte Eingang zu der Höhle befindet?“, lenkte er geschickt ab. Der alte Nachtmahr zeigte mit zittriger Hand nach Norden und sagte mit unheilvoller Stimme:
„Dort oben, am sturmumtosten Nordkap. Er befindet sich unter einer tausendjährigen Eiche. Oder war es eine einjährige Osterglocke 31 ?“
„Danke, Erster und Letzter. Wir werden ihn schon finden“, bedankte sich Leschnikov und drängte die anderen zum Gehen.
„Kommt doch mal wieder vorbei!“, rief Armstrong ihnen hinterher. „Wir könnten dann wieder zusammen musizieren, wie wir es heute auch nicht gemacht haben!“
30 In der Tat widersprechen sich die Informationen über Armstrong. Aber eines ist sicher: Er kann kaum der erste Nachtmahr gewesen sein, der in die Menschenwelt reiste. Die Forschung geht mittlerweile davon aus, dass er einfach nur plemplem ist und jede Menge Unsinn erzählt.
31 Die Osterglocke ist eine Blume, die bereits zu Ostern blüht, daher ihr Name. Sie ist aber auch bekannt unter den Bezeichnungen Gelbe Narzisse, Trompeten-Narzisse oder Märzenbecher.
21. Widerspenstige Zähmung
Wenig später begann es, heftig zu regnen. Innerhalb von Minuten war Rocky bis auf die Haut durchnässt. Die Insel der Albträume zeigte sich heute von ihrer ungastlichen Seite. Es war wirklich Zeit zu gehen. Zum Glück war der Eingang zur Höhle schnell gefunden. So versteckt, wie Armstrong meinte, war er nämlich gar nicht. Er befand sich weder unter einer Eiche noch unter einer Osterglocke. Rocky entdeckte ihn hinter einem Schild mit der Aufschrift „Größte Angst – Zutritt verboten“. Mitten in einer saftig grünen Wiese, weit weg von der Küste, führte eine in den Fels gehauene Treppe steil bergab.
„Na, dann mal los!“ Rocky ging mutig voraus. Die Stufen waren ausgetreten und verwittert, ein Geländer gab es nicht. Langsam verblasste das Sonnenlicht, auch das Tosen des Windes verstummte. Stattdessen hörten sie allmählich das sanfte Plätschern von Wellen. Das Meer! Armstrong hatte also doch recht. Immer tiefer ging es hinab, und je weiter sie in die Erde vorstießen, desto heller wurde es plötzlich wieder. Alles war erfüllt von einem seltsamen blauen Licht. Tief unter der Erde endete die Treppe an einer Grotte. Vor ihnen lag ein wunderschöner unterirdischer Strand, mit weißem, feinkörnigem Sand. Das Wasser war aber nicht dunkelblau oder schwarz, wie man es in einer Höhle erwartet hätte, es leuchtete blau.
„Meeresleuchten 32 “, stellte Leschnikov begeistert fest. Rocky hatte bereits einmal
Weitere Kostenlose Bücher