Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
Vom Netzwerk:
nahm meine Hand, legte sie in ihren Schoß und betrachtete sie. Offenbar suchte sie nach den richtigen Worten. »Du hast recht«, sagte sie schließlich. »Es gibt da etwas.«
    »Erzähl es mir.«
    »Nicht hier«, flüsterte sie. »Heute Abend.«
    Wir verabredeten uns für den späten Abend, wenn mein Dad und Miss Peregrine bereits schlafen würden. Emma beharrte darauf, dass dies die einzige Möglichkeit sei, weil die Wände Ohren hätten und es tagsüber unmöglich war, zu zweit irgendwohin zu entwischen, ohne Verdacht zu erregen. Um vorzutäuschen, dass wir nichts zu verbergen hatten, verbrachten wir den Rest des Nachmittags im Garten, wo uns alle gut sehen konnten. Und als die Sonne unterging, marschierte ich allein zurück zum Moor.
    * * *
    Es war abermals ein regnerischer Tag im 21 . Jahrhundert, und als ich im Pub ankam, war ich einfach nur froh, ins Trockene zu gelangen. Dad saß allein an einem Tisch und trank bedächtig ein Glas Bier. Ich zog mir einen Stuhl heran und begann, Geschichten darüber zu erfinden, wie ich den Tag verbracht hatte, während ich mir mit Servietten das Gesicht abtrocknete. (Ich stellte fest: Je mehr ich log, desto leichter fiel es mir.)
    Dad hörte mir kaum zu. »Aha«, sagte er, »das ist ja interessant«, und dann wanderte sein Blick in die Ferne, und er trank noch einen Schluck Bier.
    »Was ist los mit dir?«, fragte ich. »Bist du immer noch sauer auf mich?«
    »Nein, nein.« Er schien mir etwas erklären zu wollen, winkte dann jedoch ab. »Ach, es ist albern.«
    »Dad, jetzt komm schon.«
    »Es ist nur … es geht um diesen Typen, der vorgestern hier aufgetaucht ist. Noch ein Vogelbeobachter.«
    »Jemand, den du kennst?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn noch nie gesehen. Anfangs dachte ich, er wäre ein Wichtigtuer, der keine Ahnung hat, aber er kehrt immer wieder zu denselben Nistplätzen zurück und macht sich Notizen. Er weiß ganz genau, was er tut. Und heute habe ich ihn mit einem Käfig und einer Leica gesehen. Da wusste ich, dass er ein Profi ist.«
    »Einer Leica?«
    »Ein Fernglas. Spitzengerät.« Dad hatte seine Serviette mittlerweile dreimal zerknüllt und wieder geglättet, eine nervöse Angewohnheit. »Es ist nur so, dass ich dachte, ich hätte diese Vogelpopulation als Erster entdeckt. Ich wollte, dass dieses Buch etwas ganz Besonderes wird.«
    »Und dann ist dieses Arschloch aufgetaucht.«
    »Jacob!«
    »Ich meinte, dieser nichtsnutzige Hurensohn.«
    Dad lachte. »Danke, Sohn, das genügt.«
    »Es wird etwas Besonderes sein«, versicherte ich ihm.
    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich hoffe es.« Aber sonderlich überzeugt klang er nicht.
    Ich wusste ganz genau, was jetzt passieren würde. Es war Teil des armseligen Teufelskreises, in dem Dad gefangen war. Er entwickelte große Begeisterung für ein Projekt, sprach monatelang über nichts anderes. Und dann trat zwangsläufig ein winziges Problem auf und streute Sand ins Getriebe, und statt es zu lösen, ließ Dad sich davon einschüchtern. Ehe du dich versiehst, ist das Projekt gestorben, und Dad stürzt sich auf ein neues. Und alles geht von vorn los. Er ließ sich zu leicht entmutigen. Deshalb hortete er auch ein Dutzend unvollendeter Manuskripte in seinem Schreibtisch, und deswegen kam auch die Vogelhandlung, die er zusammen mit Tante Suzie eröffnen wollte, nie in Gang. Aus demselben Grund hatte er einen Abschluss in asiatischen Sprachen, war aber noch nie in Asien gewesen. Er war sechsundvierzig Jahre alt und immer noch damit beschäftigt, sich selbst zu finden und zu beweisen, dass er das Geld meiner Mutter nicht brauchte.
    Was er wirklich brauchte, waren aufmunternde Worte, aber dazu fühlte ich mich nicht qualifiziert. Also versuchte ich, das Thema zu wechseln.
    »Wo übernachtet denn dieser Eindringling?«, fragte ich. »Hat Kev nicht gesagt, wir hätten die einzigen Zimmer, die es auf der Insel zu mieten gibt?«
    »Ich nehme an, dass er zeltet«, antwortete Dad.
    »Bei dem Wetter?«
    »Das tun Vollblut-Ornithologen. Das primitive Leben bringt dich näher an das Zielobjekt heran, physisch, aber auch psychisch. Erfolg durch Verzicht und so.«
    Ich lachte. »Und warum bist
du
dann nicht da draußen?« Kaum hatte ich es ausgesprochen, wünschte ich, es nicht getan zu haben.
    »Vermutlich aus demselben Grund, aus dem nichts aus meinen Büchern wird. Es gibt immer jemanden, der engagierter ist als ich.«
    Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl hin und her. »So habe ich das nicht

Weitere Kostenlose Bücher