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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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worüber weiß ich jetzt Bescheid? Wie ist Victor denn gestorben?«
    Bronwyn blickte zu mir hoch. »Er wurde umgebracht, von – aua!«, kreischte sie, weil Enoch sie in den Arm gekniffen hatte.
    »Pst!«, rief er. »Das darfst du ihm nicht erzählen!«
    »Das ist doch lächerlich«, erwiderte ich. »Wenn ihr es mir nicht sagen wollt, dann frage ich eben Miss Peregrine.«
    Mit weit aufgerissenen Augen kam Enoch einen Schritt auf mich zu. »Nein! Das darfst du nicht.«
    »Tatsächlich? Und wieso nicht?«
    »Der Vogel mag es nicht, wenn wir über Victor reden«, antwortete er. »Deshalb trägt sie ja die ganze Zeit Schwarz. Sie darf nicht merken, dass wir hier oben waren. Dann hängt sie uns an unseren rosafarbenen Zehen auf!«
    Wie aufs Stichwort hörten wir Miss Peregrine die Treppe heraufhumpeln. Bronwyn wurde kalkweiß im Gesicht und schoss an mir vorbei zur Tür hinaus. Bevor Enoch fliehen konnte, verstellte ich ihm den Weg. »Lass mich durch!«, zischte er.
    »Erzähl mir, was mit Victor passiert ist!«
    »Ich
kann
nicht!«
    »Dann erzähl mir von dem Überfall auf das Dorf.«
    »Das kann ich auch nicht!« Er versuchte, sich an mir vorbeizuschieben. Als er merkte, dass es ihm nicht gelang, gab er schließlich auf. »Also gut. Mach die Tür zu, ich erzähle es dir«, flüsterte er.
    Ich schloss die Tür, als Miss Peregrine gerade den Treppenabsatz erreichte. Einen Moment lang verhielten wir uns still und pressten die Ohren an die Tür, um zu hören, ob sie uns entdeckt hatte. Die Schritte der Headmistress näherten sich – und verharrten etwa in der Mitte des Flurs. Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen.
    »Sie ist in ihr Zimmer gegangen«, flüsterte Enoch.
    »Also«, sagte ich, »der Überfall auf das Dorf.«
    Er sah aus, als bedaure er, das Thema angeschnitten zu haben, und bedeutete mir, von der Tür fortzugehen. Ich folgte ihm und beugte mich hinunter, damit er mir ins Ohr flüstern konnte. »Wie ich schon andeutete, ist es ein Spiel. Und es geht so, wie der Name sagt.«
    »Willst du damit behaupten, dass ihr das Dorf
überfallen
habt?«
    »Alles kaputtschlagen, Menschen jagen, plündern, Häuser abfackeln. Ein Riesenspaß.«
    »Aber das ist ja furchtbar!«
    »Irgendwie müssen wir schließlich trainieren, oder? Für den Fall, dass wir uns jemals verteidigen müssen. Sonst rosten wir ein. Außerdem gibt es Regeln. Wir dürfen niemanden töten, sondern ihnen nur ein bisschen Angst einjagen. Und falls doch jemand verletzt wird, dann ist er am nächsten Tag wieder kerngesund und kann sich an nichts erinnern.«
    »Spielt Emma auch mit?«
    »Neee. Sie ist wie du. Behauptet, das sei böse.«
    »Das ist es auch.«
    Enoch verdrehte die Augen. »Ihr zwei habt einander wirklich verdient.«
    »Was soll das heißen?«
    Er streckte sich zu seiner vollen Höhe von ungefähr ein Meter sechzig und bohrte mir den Finger in die Brust. »Das heißt, dass du mich nicht so herablassend behandeln solltest, Kumpel. Denn wenn wir dieses Dorf nicht ab und zu überfallen würden, wären die meisten von uns schon vor Jahren übergeschnappt.« Er ging zur Tür und legte die Hand auf den Knauf. Dann drehte er sich noch einmal um. »Und wenn du uns für böse hältst, dann warte mal ab, bis du
die
gesehen hast.«
    »Die wer? Wovon zum Teufel redet ihr alle?«
    Er hob den Finger, um mich zum Schweigen zu bringen, und ging hinaus.
    Ich war allein. Mein Blick wurde von dem Körper auf dem Bett angezogen.
    Was ist mit dir passiert, Victor?
    Vielleicht war er verrückt geworden und hatte sich umgebracht – war diese heitere, aber zukunftslose Ewigkeit so leid geworden, dass er Rattengift geschluckt hatte oder über die Klippen gesprungen war. Oder
sie
hatten ihn umgebracht, jene »anderen Gefahren«, die Miss Peregrine angedeutet hatte.
    Ich trat in den Flur und wollte gerade die Treppe hinuntergehen, als ich Miss Peregrines Stimme hinter einer halbgeöffneten Tür hörte. Rasch schlüpfte ich in den nächstbesten Raum und verbarg mich dort, bis sie an der Tür vorbei- und die Treppe hinuntergehumpelt war. Dann entdeckte ich ein paar Stiefel vor einem akkurat gemachten Bett – Emmas Stiefel. Ich war in ihrem Schlafzimmer.
    An einer Wand stand eine Kommode mit Schubladen und einem Spiegel darauf. Gegenüber befand sich ein Schreibtisch, unter den ein Stuhl geschoben war. Es war das Zimmer eines ordentlichen Mädchens, das nichts zu verbergen hatte. Zumindest wirkte es so, bis ich in ihrem Kleiderschrank eine Hutschachtel

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