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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Palast miterlebt,
während du mit deinen Puppen auf der Bühne warst. Wenn wir ein bißchen Glück
haben, wirst du heute dein Abenteuer haben .« »Wird mir
ein Vergnügen sein«, entgegnete Yen Shih, und seiner Stimme nach zu urteilen
war das sein voller Ernst. »Ich hätte schon früher daran denken müssen«, sagte
der alte Mann reumütig. »Wir brauchen eine Liste der Mandarine und der anderen
vornehmen Herren, die mit der Schmugglerbande in Verbindung stehen. Außerdem
brauche ich jede Information über die merkwürdigen Käfige, von denen Ochse und
ich erzählt haben. Der Schlüssel dazu könnte der Mann sein, der die Käfige
offensichtlich entdeckt hat, der verstorbene Ma Tuan Lin .« Wir waren unterwegs zu dem Ort, an dem der erwähnte Würdenträger sein Ende
gefunden hatte, und Meister Li deutete zu dem Pavillon hinüber.
    »Wir haben alles, was von
Interesse war, in seiner Inselklause gefunden, und ich habe sowohl sein Haus
und seinen Amtssitz als auch sein Anwesen auf dem Land durchsucht. Ich dachte,
wir wären in einer Sackgasse angelangt, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so
sicher. Hast du vor dem ganzen Durcheinander je von Ma gehört ?«
    »Ich hatte nie die Ehre«,
antwortete Yen Shih. »Da hattest du Glück«, fuhr Meister Li fort. »Ma zu
kennen, war wie ein Geschwür, dem man Tür und Tor öffnet. Er war einer der
Wissenschaftler, die mit einem hervorragenden Gedächtnis gesegnet sind, ein
Talent - in seinem Fall eine Begabung für Sprachen -, aber nicht ein Fünkchen
Verstand und Urteilsvermögen. Seine Sprachbegabung brachte ihn als Experten für
die Angelegenheiten unserer Minderheitenvölker ins Innenministerium, und es ist
nicht übertrieben, wenn ich behaupte, daß Ma Tuan Lin schon bald zur lebenden
Legende avancierte .«
    Meister Li schien eine
sonderbare Bewunderung für den seligen Mandarin zu hegen, dessen Laufbahn sich
erstaunlich geradlinig entwickelt hatte.
    »Als ersten Posten trat er
das Amt eines Verwalters bei den Hu Peh an. Er kam
dort zu einer Zeit an, als gerade eine Grippe-Epidemie grassierte und die
Mitglieder dieses bemerkenswert auf Hygiene bedachten Stammes Gazemasken
herstellten und trugen«, erzählte Meister Li. »In seinem offiziellen Bericht
stand zu lesen, daß seine Untertanen menschlichen Wesen ähnelten, jedoch
zwischen Nase und Kinn nur eine leere Fläche hatten; ihre Münder, mutmaßte er,
befanden sich nämlich oben auf dem Schädel. Man belohnte ihn durch eine
Beförderung ins Land der Kuang Tung, die das haarsträubende Glück hatten, daß
er zu dem Zeitpunkt bei ihnen eintraf, als sie gerade ihre Schöpfungsmythen
feierten. Im offiziellen Bericht konnte man lesen, daß sie weder bestellbare
Felder noch Fischereirechte brauchten, weil sie sich von Schlamm ernährten .«
    »Klingt nach einem
angenehmen Zeitgenossen«, bemerkte Yen Shih trocken.
    »Es wurde noch besser«,
fuhr Meister Li fort. »Ma Tuan Lin wurde nun ausersehen, die Oberaufsicht über
die Chiao zu übernehmen, was zum Gemetzel an unzähligen verdutzten Großmüttern
führte, weil er die Geschichte, die sie ihren Kleinen erzählten, für bare Münze
nahm und berichtete, die alten Damen des Stammes würden sich bei Nacht in
Fledermäuse verwandeln und chinesischen Kindern das Gehirn aussaugen. Danach
wurde er nach Hainan versetzt. Er erreichte die Insel bei Vollmond, und man
kann sich vorstellen, was das Mondlicht bei Ma Tuan Lin bewirkte. In seinem
offiziellen Bericht schrieb er, daß die Mädchen dort in Wirklichkeit
Meerjungfrauen seien, die Perlen anstelle von Tränen weinten, worauf sich
Heerscharen von Herren nach Hainan einschifften, um die Mädchen einzufangen und
zum Weinen zu bringen. Die widerwärtigen Einzelheiten erspare ich mir lieber .« Der Pavillon war in Sicht gekommen, und Meister Li blieb
stehen. Er winkte mit der Hand zum Haus hin.
    »Was ich damit sagen will,
ist, daß Mas Mitverschwörer einem solchen Mann kaum wichtige Dokumente
anvertraut haben werden. Ich vermute, daß er immer noch einen Nutzen für sie
hatte, so daß sie, anstatt ihm die Kehle aufzuschlitzen, dafür sorgten, daß er alle
Arbeiten, die etwas mit dem Unternehmen zu tun hatten - und dazu gehörten auch
die Käfige -, an einem Ort erledigte, den sie im Auge hatten. Sein
Pavillon befindet sich direkt neben dem Tunnel, dadurch hatte er ungehinderten
Zugang zu der Höhle unter dem Kohlenhügel, und genau dort, darum möchte ich
wetten, richteten sie ihm einen Arbeitsplatz ein und sorgten dafür, daß

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