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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Dorf zerfloß in der
Hitze, als wäre es aus weichem Wachs geformt, und von allen Seiten erscholl
Gelächter - rauhes, harsches, gezwungenes Gelächter. Ich spähte durch eine
Lücke zwischen zwei Hütten und sah den Abt unseres Klosters, dessen Blick auf irgend etwas gerichtet war. In seinen Augen stand Mitleid,
und seine Miene war traurig. Ich lief weiter, bis ich die Hauptstraße sehen
konnte, und dort entdeckte ich meine Mutter, die lachte, und meinen Vater, der
sich bemühte, zu lachen. Alle bemühten sich. Ein Hochzeitszug war im Gange, und
mir sank das Herz in die
    Knie. »Über den Hund lachen«
ist der letzte Ausweg in Zeiten der Dürre. Wenn es nichts nützt, den
Wasserdrachen Schwalben zu schicken und die Statuen unserer Schutzgötter in die
sengende Sonne hinauszustellen, bleibt nur noch die Möglichkeit, einen
kompletten Hochzeitszug mit blumengeschmücktem Wagen, Gongschlägen, Glocken und
Trommeln auszurichten, nur, daß die Braut ein Hund ist. Eine Hündin im
Hochzeitskleid eines Mädchens. Dann zeigen alle mit dem Finger auf sie, lachen
und lärmen und hoffen, daß sie damit den Kleinen Jungen in den Wolken dazu
bringen, herunterzuschauen und über den albernen Anblick zu lachen, bis ihm die
Tränen kommen. Und seine Tränen sind Regen. Ich ging auf meine Eltern zu, doch
die Hitzeschwaden flimmerten wieder wie Wolken in der Luft, so daß ich nichts
klar erkennen konnte. Das Lachen wurde schriller und höher. Ich sah, daß sich
etwas in einem Kreis bewegte, und dann stellte ich fest, daß es keine Tänzer um
einen Hochzeitswagen waren, die ich sah und keine lachenden Stimmen, die ich
hörte.
    »Ziege, Ziege, spring
über den Wall,
    Rupf Gras undflittere
dein Mütterlein;
    Ist sie nicht auf dem
Feld und im Stall,
    Gib es deinen hungrigen
Brüderlein.
    Eins... Zwei... Drei...
Vier... Fünf... Sechs... Sieben...
    Acht!«
    Gerade als ich aus dem
Hitzeflimmern heraustrat, durchbrach die Ziege den Kreis und jagte den anderen
Kindern nach. Die Laute, die ihr Lied begleitet hatte, spielte noch. Ich wandte
mich dem Klang zu, doch plötzlich blendete mich ein greller Lichtblitz, und als
ich wieder klar sehen konnte, stand Yu Lan mit einem Käfig in der Hand vor mir.
Sie hob die andere Hand zu der rituellen Bewegung, und ich ahmte ihr Beispiel
nach: linke Braue, rechte Braue, Nasenspitze. Die Schamanin öffnete die Faust,
und ich erblickte wieder eine kleine zweigezackte Heugabel. Aber diesmal hob
sie sie nicht an die Lippen. Sie sah mich ernst an, ging dann zu einem Brunnen
mit niedriger Steineinfassung und deutete auf einen riesigen Eimer, der an
einer Winde hing. Durch Zeichen machte sie mir klar, daß ich uns beide in den
Brunnen hinunterlassen sollte.
    Der Eimer war gerade groß
genug. Ich band das Seil los und ließ uns langsam in die Dunkelheit
hinunterschweben. Die Winde quietschte laut, aber das Seil war dick und stark.
An den Brunnenwänden konnte ich ein eingemeißeltes Muster erkennen: lauter
Frösche, die, Kopf an Schwanz, sich in endloser Spirale drehten. Von unten
stieg ein fürchterlicher Gestank nach verwesendem Fleisch auf, und etwas
grollte dort unten wie gedämpfter Donner. Ich versuchte, Yu Lan zu überzeugen,
daß wir umkehren sollten, aber sie deutete unbeirrt in die Tiefe.
    Ich ließ den Eimer immer
weiter hinunter. Yu Lan musterte aufmerksam die Wände. Sie strengte ihre Augen
an, um in dem schwachen Lichtschein von oben etwas zu erkennen. Ich hörte jetzt
ein Gurgeln, das von unten kam, und die Hitze wurde so sengend wie in einem
Backofen. Wieder drang ein tiefes, drohendes Grollen aus der Tiefe zu uns
herauf. Der Gestank war jetzt fast unerträglich. Yu Lan berührte meine Schulter
und zeigte mir etwas. In der Brunnenwand war ein dunkler Kreis zu sehen, den
ich aber nicht erreichen konnte. Also begann ich, den Eimer in schwingende
Bewegung zu setzen, indem ich an dem Seil hin und her schaukelte. Wir schwangen
in immer größeren Kreisen. Meine Hände waren schweißnaß, und ich befürchtete,
daß mir das Seil entgleiten würde und wir in die Tiefe stürzten. Doch ich hielt
fest und schwang immer weiter aus, bis ich mit der linken Hand den Kreis
erreichen konnte. Es war ein Loch in der Wand. Als ich zum dritten Mal darauf
zu-schwang, bekam ich einen hervorspringenden Stein zu fassen, und es gelang
mir, uns bis zum Rand des Lochs heranzuziehen. Yu Lan sprang leichtfüßig in den
schmalen Tunnel dahinter, und ich folgte ihr, nachdem ich den Eimer an dem
Stein festgebunden hatte. Die

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