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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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unweigerlich in meine Reichweite. Es gelang mir, mit einem Wurf meiner
Keule einen Mann niederzustrecken, der Yen Shih gerade mit dem Messer angreifen
wollte, worauf die Klinge durch die Luft flog und einem Mann in die Kehle fuhr,
der mir seinen Speer auf die Brust gesetzt hatte. Und dann war alles vorbei.
Ich konnte kaum fassen, daß wir es geschafft hatten, aber da lagen die Männer
vor uns, und keiner von ihnen rührte sich mehr.
    Nachdenklich betrachtete
der Puppenspieler das Chaos. »Es dürfte nicht leicht sein, die Leichen
verschwinden zu lassen und alles hier wieder in Ordnung zu bringen«, sagte er.
    »Vergiß es«, warf eine
Stimme ein, und als ich mich umdrehte, erblickte ich Meister Li, der das
Blutbad betrachtete und dabei fast bewundernd den Kopf schüttelte. »Wichtiger
ist, daß ich Mas Papiere gefunden habe. Wenn wir die Leichen verstecken, würden
wir mehr Probleme schaffen als lösen, also lassen wir alles, wie es ist. Oder
fast .«
    Rasch durchwühlte er
Taschen, Börsen und Geldgürtel, bis er ein Häufchen Silbermünzen hatte, die er
auf den Tisch legte, sowie ein Spiel gezinkter Karten, die er über die Münzen
und auf dem Fußboden verstreute. Meine Keule drückte ich einem der Toten in die
blutige Hand, die von Yen Shih legten wir neben einen anderen, und die Armbrust
schoben wir unter den Körper eines dritten. »Ein geübtes Auge würde bei der
Untersuchung an diesem hübschen Bild in zehn Minuten zehn Fehler entdecken,
aber es ist unwahrscheinlich, daß sie die Ermittlung einem geübten Mann
übertragen«, sagte der alte Mann zuversichtlich. »Die Männer von der
Wachablösung tauchten auf und entdeckten den Wein und das Hundefleisch auf dem
Tisch. Sie ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, fingen an Karten zu
spielen, bis einer von ihnen es zu weit trieb, und einmal in ihrem Leben
verfehlten die Tölpel nicht ihr Ziel, als sie übereinander herfielen. Es fehlt
nichts, warum also nicht die einfachste Erklärung akzeptieren ?«
    Ich hatte nicht vor, mich
auf eine Diskussion mit ihm einzulassen, denn nun blieb noch das Problem, wie
wir wieder hinauskommen sollten. Der Tunnel kam nicht in Frage. Meister Li
stand an der Tür, durch die die Wachablösung gekommen war, und was er sah,
gefiel ihm offenbar nicht besonders.
    »Der Gang endet zweifellos
im Keller eines Hauses auf dem Kohlenhügel, das einem der Mandarine gehört, und
wir müßten zaubern können, um durch den Keller und aus dem Haus zu gelangen,
ohne gesehen zu werden«, sagte er nachdenklich. »Hier herüber !« rief Yen Shih.
    Der Puppenspieler hatte
etwas entdeckt, das uns offensichtlich entgangen war. Die Reste eines
Erdrutsches waren an der westlichen Höhlenwand noch zu erkennen, und durch ein
Loch in der Decke fiel ein Lichtschimmer herein. Mit Yen Shihs Hilfe erweiterte
ich den Spalt, bis wir sehen konnten, daß der Erdrutsch einen Schacht gerissen
hatte, der zu einem blauen Fleckchen Himmel hinaufführte. Mit Meister Li auf
dem Rücken wand ich mich nach oben in einen Hohlraum, der aussah wie das Innere
eines sehr merkwürdigen Schrankes aus knorrigem alten Holz. Licht strömte durch eine Öffnung, die so groß war, daß Meister Li bequem
hinausklettern konnte, und dann tat ich so, als sei ich wieder neun Jahre alt
und quetschte meinen massigen Körper hindurch. Yen Shih kam als letzter und
gesellte sich zu uns. Wir befanden uns auf bekanntem Gelände. Es war das
Familiengrab der Familie Lin auf dem Gipfel des Kohlenhügels, nicht weit von
dem Grab entfernt, in dem der Vampir gehaust hatte, und der Schrank erwies sich
als das Innere eines hohlen Baumes.
    »Aha! Der Ch'ih-mei hat
diesen Baum demnach während seiner nächtlichen Streifzüge als Ruheplatz
benutzt, und der Erdrutsch hat ihn in die Höhle hinunter befördert, von wo aus
er versehentlich mit der Erde zur Hortensien-Insel gekarrt wurde«, sagte
Meister Li mit glücklicher Miene. Zweifellos hatten die Mandarine beschlossen,
den Schacht nicht aufzufüllen, weil er ein bequemer Notausgang war.
    Nie würde ein Gärtner Hand
an diesen Baum legen, und ich fröstelte, während ich ihn betrachtete: knorrig,
geduckt, wuchtig und feindselig - ebenso grausig und bedrohlich wie die
entsetzlichen Totenbäume auf dem Berg der Falken und Krähen, und er würde
unangetastet bleiben, bis ihn am Ende der Wind umriß.
    16
    Offiziell beauftragt, den
Tod Ma Tuan Lins zu untersuchen, hatte Meister Li jede Berechtigung, sich auf
dem Friedhof aufzuhalten, den das Unwesen bewohnt

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