Die Insel der Mandarine
junge
Frau hatte ein reizloses, einfaches Gesicht, und ich wäre jede Wette
eingegangen, daß sie ihre Pantoffeln selber machte: Sie hatten ein Muster aus
rosigen Hörnchen, die durch gelbe Blumen hüpften.
»Hat dein Herr das oft ?« erkundigte sich Meister Li bei der alten Frau.
»Nein, Ehrwürdiger Meister.
Nur hin und wieder, aber dann ruht er sich aus und ist danach wieder ganz der
alte .« »Wir kommen morgen wieder vorbei .« Mit diesen Worten machte Meister Li kehrt und ging aus
dem Haus.
Wieder in der Sänfte, kam
es mir vor, als würden wir auf dem Rückweg durch ein Meer phantastischer Farben
schwimmen - im Sonnenuntergang sind Sandstürme wirklich herrlich und Meister
Lis Gesicht färbte sich erst golden, dann zinnoberrot, dann hellrot und
schließlich rosig, während tiefe Sorgenfalten die Palette mit schwarzen,
schroffen Linien überzog.
»Ich habe Angst um meinen
geliebten alten Lehrer«, sagte er. »Wir dürfen nicht vergessen, daß er auf
irgendeine Weise einen Mandarin überlistet hat, der im Besitz eines der Käfige
ist, und daß er das Ding benutzt hat, um den anderen eine Gardinenpredigt zu
halten. Diese Kerle sind gefährlich. Wenn seine Gedanken abschweiften, während
er mit ihnen in Verbindung stand, könnten wir alle übel in der Klemme sitzen.
Wir sollten die Verbrecher also so schnell wie möglich hinter Schloß und Riegel
bringen .« »Meister, habt Ihr nicht genug gegen sie in
der Hand ?« fragte ich. »Wir wissen über die Höhle
Bescheid, und Ihr habt herausgefunden, wie sie den Tribut-Tee fälschen .«
»Wir wissen aber auch, daß
der Anführer der Bande Li die Katze ist, und er verfügt über genügend Macht, um
eine Höhle unter dem Kohlenhügel verschwinden zu lassen«, entgegnete Meister Li
grimmig. »Er kann eine Untersuchung um sechs Monate verzögern, und in dieser
Zeit fallen alle Zeugen, die gegen ihn aussagen können, uns selbst
eingeschlossen, mit irgendwelchen geheimnisvollen Krankheiten tot um. Nein,
unser nächster Schritt muß sein, die restlichen, an der Verschwörung
beteiligten Mandarine zu enttarnen, das schwächste Glied unter ihnen
herauszufinden und diesen zu zwingen, gegen die anderen als Zeuge auszusagen.«
Er breitete die Arme aus und hob den Blick zum Himmel. »Aber, zum Teufel, die
Skandale der Mandarine sind nicht wichtig«, sagte er niedergeschlagen.
»Diese Käfige sind es, und die Gestalten, die damit im Zusammenhang zu stehen
scheinen und ein Dieb, der ein in Neid verwandelter Abenteurer sein kann oder
auch nicht. Wenn der Himmlische Meister nur wieder in den Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte gelangt! Niemand weiß so viel über die Götter und Dämonen aus
einer 3000 Jahre vergangenen Zeit wie er, und wenn überhaupt irgend jemand, so
ist er in der Lage, der Sache auf den Grund zu gehen.«
Wir hatten die Brücke des
Himmels an der Kreuzung zwischen der Straße der Augen und der Gasse der Fliegen
erreicht, und Meister Li wies die Sänftenträger an, uns bei der Spelunke des
Einäugigen Wong abzusetzen.
Er heuerte ein paar
verschlagene Gestalten an, die den Aufenthaltsort von Ho Chang-yu, dem
Mandarin, dessen Bild im Käfig des Himmlischen Meisters erschienen war,
aufzuspüren. Zwei Stunden später erfuhren wir, daß er zum Kaiserlichen Palast
in Ch'ang-an gereist war und erst in etwa zwei Tagen zurückerwartet wurde.
Nachdem wir zu Abend gegessen hatten, kehrten wir zu Meister Lis Hütte zurück.
Diesmal begrüßte uns Großmutter Ming nicht mit ihrem Gezeter über
Menschenaffen. Wir schliefen beide tief und fest, aber mir wäre es lieber
gewesen, unruhig zu schlafen und von Yu Lan zu träumen.
15
Am dritten Tag des fünften
Mondes, als der Gelbe Wind sich vorübergehend gelegt und der Himmel sich mit
blassem Blau überzogen hatte, ruderten wir gleich nach Sonnenaufgang zur
Hortensien-Insel hinüber. Sonnenstrahlen fielen auf das Wasser des Nördlichen
Sees und schoben sich über das Heck unseres Bootes, und ich sah zu meinem
Erstaunen, daß sich bereits die ersten Hitzeschwaden über dem Rand der steil
aufragenden Klippe, die den Yu beherbergte, wie durchscheinende Echsen
kringelten. Es würde wieder ein glühendheißer Tag werden. Als ich am Steg
anlegte, hob sich meine Stimmung. Yen Shih war schon da und hatte die Fackeln
mitgebracht, um die Meister Li gebeten hatte. »Ich hatte den Eindruck, daß du
zu kurz gekommen bist«, wandte sich Meister Li munter an den Puppenspieler.
»Ochse und ich haben all die abenteuerlichen Ereignisse im
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