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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Sphinx mühte und keine Augen mehr für Leah hatte, ebenso wenig wie die Mitglieder der Männergruppe auf der anderen Seite des Fabelwesens. Jetzt oder nie! Leah verstaute die Zeichenutensilien in ihrer eigens dafür gefertigten Tasche, griff die Schuhe und machte sich auf den Weg. Nach einigen Minuten beschwerlichen Gehens, die Düne hinunter, wurde der Boden fester und steiniger. Sie zog die Schuhe an und schritt flott geradeaus, direkt auf die höchste der drei Pyramiden zu. Sie mochte nur noch hundert Meter entfernt sein, als drei in lange Gewänder gekleidete Männer, die bewegungslos im schmalen Schattenstreifen am Fuß der Pyramide gelagert hatten, plötzlich aufsprangen. Leah wich zurück, als die hageren Kerle wild gestikulierend auf sie zustürmten, doch wohin sollte sie flüchten? Angesichts der grimmigen Mienen der Männer, der schwarzen Vollbärte und ihrer harten, streitsüchtigen Rufe wurde sie sich ihrer Verwundbarkeit bewusst. Sie war nur ein schutzloses Mädchen in einem fremden Land. Jetzt beschleunigten die Kerle auch noch ihre Schritte! Leah wurde der Hals eng, ihre Hände zitterten. Der schnellste der Ägypter erreichte sie, keuchend redete er in seiner Sprache auf sie ein, zeigte auf sie, auf die Spitze der Pyramide, wieder auf sie und ihre Füße.
    Endlich begriff sie. Vor Erleichterung lachte Leah laut auf, was wiederum dem Sieger des Wettlaufs ein Lächeln entlockte und ihn gar nicht mehr bedrohlich, sondern ausgesprochen freundlich erscheinen ließ.
    »Wie viel soll es kosten?«, fragte sie auf Englisch, eine Sprache, der alle Familienmitglieder einschließlich der Mutter mächtig waren – hatte doch der Vater, der sein Leben lang von der Ferne träumte, darauf bestanden, dass sie es lernten. Die genannte Summe erschien Leah lächerlich gering. Ohne zu zögern, nestelte sie den Betrag aus ihrem Beutel und legte den Rest des Weges gemeinsam mit den munter schwatzenden Ägyptern zurück.
    * * *
    Johanna ließ sich Zeit. Es tat ihr gut, ganz für sich allein zu sein, in den Ohren nur Wüstenstille, über sich den fahlblauen Mittagshimmel Ägyptens. Sie lehnte sich gegen die Flanke der Sphinx, ging dann in die Hocke und setzte sich schließlich in den Sand. Sie wollte den Augenblick genießen, die von der unsagbar alten Kolossalfigur in ihrem Rücken ausgehende Wärme fühlen. Spielerisch ließ sie die Hände durch den Sand gleiten.
    Dies war also die erste Station auf dem Weg in ein neues Leben. Die erste Station einer Reise, die sie und ihre Familie immer weiter nach Osten führen würde, bis sie in Hongkong für einige Tage von Bord gehen sollten, der neuesten Gründung der Britischen Ostindien-Gesellschaft. Doch ihr eigentliches Ziel war Kanton, jene geheimnisvolle Stadt im ebenso geheimnisvollen China mit seinen unergründlichen Menschen. Sie seien höflich, hatte der Missionsangehörige in Southampton gesagt, die Chinesen, denen der Herr Uhldorff das Wort Gottes bringen wollte. Dann hatte er sich geräuspert und gar nichts mehr gesagt. Das Ungesagte beschäftigte Johanna während der gesamten, dreizehn Tage dauernden Überfahrt nach Alexandria, dann hatten die auf sie einstürmenden Eindrücke sie überrollt und keine grüblerischen Gedanken mehr zugelassen.
    Johanna fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißfeuchte Oberlippe. War sie tatsächlich erst vor dreißig Stunden in Alexandria von Bord gegangen? Dreißig Stunden, angefüllt mit mehr Aufregung, als Hamburg im ganzen Jahr zu bieten hatte. Das Gewimmel am Hafen, sehnige dunkelbraune und tiefschwarze Männer, die im Bauch des Postschiffes verschwanden, um die Waren aus England auf den Kai zu schleppen, während sie noch die Gangway hinabstolperte, die Augen überall, nur nicht auf den unebenen Planken vor ihr.
    Tausende Kamele standen bereit, die Ballen und Kisten über den Isthmus von Suez in die Stadt gleichen Namens zu transportieren. In der Zwischenzeit konnten die Passagiere die Wunder Ägyptens bestaunen, bevor sie in vier Tagen zu Post und Waren stoßen und an Bord des nächsten Schiffes die lange Fahrt in den Fernen Osten antreten würden.
    Die P&O-Kompanie hatte alles aufs Angenehmste organisiert. Kaum auf festem Boden angekommen, wurden die Passagiere von höflichen Ägyptern in farbenprächtigem Aufzug zu den Kutschen komplimentiert und zum Bahnhof gebracht. Die Zugfahrt von Alexandria nach Kairo war ein Vergnügen, lenkten doch der Fahrtwind und die sattgrüne, palmenbestandene Landschaft von der sich zum

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