Die Insel der Orchideen
»Ich bin moderat wohlhabend. Mein Urgroßvater gründete eine Kattundruckerei, die von meinem älteren Bruder geführt wird. Ich selbst hatte nie Ambitionen, in das Geschäft einzusteigen, so dass es mir sehr gelegen kam, als mein Vater mir mein Erbe frühzeitig auszahlte. Mit dem bescheidenen Vermögen konnte ich mich meinen wahren Interessen, dem Studium der Philosophie und fernöstlicher Kulturen, widmen.«
»Mit Verlaub, Herr Uhldorff, aber für mich hört es sich an, als seien Sie mehr an den Chinesen interessiert als an Gottes Wort.« Mr Flockton strich sich selbstgefällig über den Bart, nun, da er zur Ehrenrettung seiner Frau eingeschritten war.
»Vor zwanzig, ja, noch vor zehn Jahren wäre diese Beobachtung zutreffend gewesen, Mr Flockton.« Hermann-Otto Uhldorff lächelte dem Mann versöhnlich zu. »Ich habe Gottes Ruf erst spät gehört und bin nun überglücklich, als Sein Werkzeug in China wirken zu dürfen.«
»Ihre Familie teilt Ihr Interesse am Fernen Osten?«, fragte Friedrich von Trebow.
»O ja«, fiel Johanna ein. »Vater hat uns schon früh von Indien und China erzählt und auch Journale nach Hause gebracht. Ich kann es kaum erwarten, all diese Wunder mit eigenen Augen zu sehen.«
»Wie lange gedenken Sie in China zu bleiben?«, mischte sich Mr Flockton wieder ins Gespräch.
»Einige Jahre, wie ich hoffe«, antwortete Hermann-Otto Uhldorff. »Allerdings wäre es nicht möglich, für immer dort zu leben.«
»Warum nicht?«, fragte Mr Flockton.
Der schelmische Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters versetzte Johanna in Alarmbereitschaft.
»Wie Sie wissen, habe ich zwei entzückende Töchter«, fuhr er fort. »Die unverheirateten jungen Männer würden es mir niemals verzeihen, wenn ich sie dem Heiratsmarkt dauerhaft fernhielte.«
»Papa!«
»Ich bin ein Mann Gottes, liebste Tochter. Verpflichtet, die Wahrheit zu sagen.«
»Ihr verehrter Vater hat recht«, bestätigte Herr von Trebow. »Wir jungen Männer würden es ihm auf ewig übelnehmen.«
Johanna wusste vor Verlegenheit nicht, wo sie hinschauen sollte. Sie hatte bereits gestern befürchtet, dass ihr Interesse an dem jungen von Trebow allzu offensichtlich war, doch dass der Vater sie nicht nur durchschaut hatte, sondern ihr indirekt seinen Segen gab, wunderte sie. Immerhin wussten sie so gut wie nichts über Friedrich von Trebow. Aber Johanna fand ihn ungemein attraktiv. Er war groß und schlank, ein Mann, der eine Frau beschützen konnte. Seine hohen Jochbögen gaben ihm etwas Aristokratisches, und in seinen hellblauen Augen verlor sie sich, wann immer sie ihn anschaute.
Seine modischen Jacketts und Schleifenkrawatten, die sandfarbenen Hosen und seine akkurat getrimmten Favoris gefielen ihr, auch wenn Leah nur ein abfälliges Schnauben dafür übrig hatte. Ihre Schwester hielt Friedrich für einen Stutzer, doch was zählte deren Einschätzung schon!
Johanna räusperte sich. »Nun, da unsere Familienangelegenheiten Gegenstand detaillierter Erläuterungen wurden« – sie schoss einen verärgerten Blick zu ihrem Vater, der ihn mit amüsiertem Augenrollen zur Kenntnis nahm –, »würden wir uns natürlich freuen, Herr von Trebow, wenn Sie ein wenig von sich preisgäben. Dass Sie in Hongkong reich zu werden gedenken, erwähnten Sie bereits. Doch wie wollen Sie es anstellen?«
»In erster Linie durch Kommissionsgeschäfte. Aber ich werde, sollte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, nicht zögern, meine Ersparnisse in den Aufkauf gewinnversprechender Waren anzulegen.«
»Haben Sie denn Erfahrung darin? Es klingt riskant.«
»Das ist es auch, aber ich hatte bereits das Glück, ein wenig durch den Osten reisen und mir einen Überblick verschaffen zu können.« Als Johanna fragend den Kopf neigte, setzte Friedrich von Trebow seine Erklärungen fort: »Das Londoner Handelshaus
Medhurst, Jacobsen & Co
erteilte mir Prokura und sandte mich vor zwei Jahren als Supercargo nach Asien. Ich konnte sowohl die mir anvertrauten Manufakturen mit großem Gewinn veräußern als auch neue Waren zu günstigen Konditionen erwerben und in anderen asiatischen Häfen weiterverkaufen.«
»Wie aufregend! Welche Länder haben Sie bereist? Womit haben Sie gehandelt? Porzellan und Seide?«
»Dies ist ganz eindeutig die Frage einer jungen Dame, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« Friedrich von Trebow bedachte Johanna mit einem Lächeln, so strahlend, dass sie die Hitze auf der Haut zu spüren vermeinte. »Sie denken an die schönen
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