Die Insel der roten Mangroven
Hafenbereich von Grand Cayman waren Sklavinnen oder Huren – oft auch beides. Die zwei Bordelle, in denen sich die Matrosen der Schiffe, die hier Proviant aufnahmen, vergnügten, boten fast ausschließlich schwarze Frauen und Mulattenmädchen an. Eine Weiße und ihre Tochter, die es irgendwie hierher verschlagen hatte, betrieben eine Schenke und waren auch nicht prüde. Ganz sicher kein Umgang für die brave Mrs. Benton!
Ja, und dann gab es noch Máanu, oder besser »Miss Máanu«. Die hochgewachsene, auch in mittleren Jahren noch schöne Schwarze bestand auf der respektvollen Anrede. Und sie verdiente sie ja auch – Miss Máanu arbeitete für keinen Backra. Miss Máanu war frei! Anfänglich hatte Bonnie das gar nicht glauben wollen. Sie hatte gemeint, Jefe schneide auf, als sie ihn kennengelernt hatte, nachdem sie von ihrem Backra gekauft worden war. Bonnie war damals zwölf Jahre alt und zu nichtsauf der Plantage zu gebrauchen gewesen, wie ihr vorheriger Backra gesagt hatte. Sie war klein gewesen und halb verhungert. Auf den Zuckerrohrfeldern hatte man sie nicht brauchen können, und für eine Verwendung als Haussklavin fehlte es ihr an Erziehung und Umgangsformen. Bonnie fragte sich sowieso, weshalb man sie gemeinsam mit ihrer Mutter auf die Kaimaninseln geschafft und nicht einfach auf der jamaikanischen Plantage gelassen hatte, auf der sie geboren war. Aber wahrscheinlich hatte der letzte Backra auf Jamaika derart genug von ihrer Mom gehabt, dass er die Brut gleich mit loswerden wollte. Tilly, Bonnies Mom, hatte gestohlen, sie hatte versucht, die Aufseher zu verführen, sich sogar selbst verletzt, um nicht arbeiten zu müssen – und irgendwann war sie mit ihrer Machete auf die Köchin des Sklavenquartiers losgegangen, weil sie sich ungerecht behandelt gefühlt hatte. Der Backra hatte sie dann mit anderen straffällig gewordenen Sklaven nach Grand Cayman geschickt, wo sie endlos damit prahlte, welch mutige Kämpferin für die Freiheit sie gewesen war.
Bonnie glaubte das nicht. Sie hatte keine genauen Erinnerungen mehr an die Plantage auf Jamaika, damals war sie zu jung gewesen. Aber sie wusste noch genau, wie ihre Mutter Tilly sich auf den Kaimaninseln aufgeführt hatte. Tilly war nicht mutig und auch nicht wirklich von Sehnsucht nach Freiheit beseelt. Bonnies Ansicht nach war sie einfach nur verrückt. Sie suchte dauernd Streit – wenn sie sich nicht gerade irgendwelchen weißen oder schwarzen Männern an den Hals warf – und konnte keine Arbeit ohne Schimpfen und Widerworte erledigen. Um Bonnie hatte sie sich nie gekümmert, die Kleine hatte verlaust und halb verhungert eingeschüchtert in ihrer Hütte gehockt, bis einer der Aufseher sie schließlich fand und den Backra informierte, der sie zum Markt in die Siedlung brachte. Wahrscheinlich hätte er sie zuerst einem Bordell angeboten, aber Skip Dayton war gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass er ein Hausmädchen brauchte.Bonnie war das billigste, was er kriegen konnte. Also griff er zu – und schien auch ganz zufrieden zu sein.
Bonnie jedenfalls tat ihr Bestes bei der Hausarbeit, sie wollte nicht sein wie ihre Mutter. Dafür war zumindest das Essen nicht schlecht bei Dayton. Gut, sie musste es selbst kochen, und es hatte einige Zeit und sehr viele Schläge gebraucht, bis sie gelernt hatte, wie das ging. Doch dann gab es Fleisch im Überfluss, und der Backra hatte nichts dagegen, wenn sie zusätzlich Gemüse anpflanzte, wie sie es bei Miss Máanu gesehen hatte. Jefe hatte ihr beim Anlegen der Beete geholfen. Er war damals dreizehn oder vierzehn gewesen, und dabei hatte er ihr von seinem Freibrief erzählt! Sie waren beide frei, seine Mutter und er. Sie sorgten für sich selbst. Máanu führte den Gemischtwarenladen nicht nur, er gehörte ihr! Bonnie war aus dem Staunen nicht herausgekommen.
Während sie wieder einmal darüber nachdachte, wie es sich anfühlen müsste, frei zu sein, lief Bonnie die staubige Straße entlang. Die Häuser hier waren alle ähnlich dem ihres Herrn: Holzhäuser mit oder ohne Veranden, manche mit ein paar Schnitzereien verziert, andere nur Bretterbuden. Ursprünglich waren alle mal bunt angemalt gewesen, aber die Sonne bleichte jede Farbe schnell aus, und nur wenige Besitzer der Bars und Bordelle, kleinen Läden oder Handwerksbetriebe machten sich die Mühe, den Anstrich regelmäßig zu erneuern.
Grand Cayman war nicht gerade eine Perle der Karibik, obwohl die Strände schneeweiß, endlos lang und wunderschön waren und
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