Die Insel der roten Mangroven
das Meer in tausend Grün- und Blautönen in der Sonne funkelte. Es war fischreich und warm – Bonnie erinnerte sich daran, dass Jefe einmal an einem Weihnachtstag mit ihr zum Fischen gegangen war. Weihnachten hatten die Sklaven frei – zumindest auf den Plantagen. Skip Dayton war allerdings nur ein einziges Mal auf die Idee gekommen, dass auch Bonnie einen freien Tag verdiente. Es war herrlich gewesen. Sie warenins Wasser gewatet und hatten die Fische mit einer Art Speer aufgespießt und an Land geworfen. Jefe hatte auch eine der riesigen Wasserschildkröten gefangen, die den Inseln ihren früheren Namen Las Tortugas gegeben hatten.
Aber Bonnie wollte nicht, dass er das Tier tötete. Ihr taten die Schildkröten immer leid, die von den Matrosen und Hafenarbeitern in Kisten eingepfercht in die dunklen Bäuche der Schiffe gebracht wurden. Es war leicht, sie eine Zeit lang am Leben zu halten, und so dienten sie als Frischfleischvorrat für die Seeleute. Der Fang und Verkauf der Tiere gehörte zu den Haupteinnahmequellen der Fischer auf den Kaimaninseln. Bonnie drängte sich jedoch stets der Gedanke auf, wie sich die Tiere wohlfühlen mussten – in dunklen Kisten, ohne Bewegung und Nahrung. Tage und Wochen, in denen sie nichts anderes tun konnten, als dem Tod entgegenzudämmern.
Bonnie schüttelte sich und zog den Kopf ein, als sie an einem der Bordelle vorbeilief. So gern sie an jenen Tag am Strand zurückdachte – in Wahrheit hasste sie die Kaimaninseln. An Máanus Stelle hätte sie sich nie hier angesiedelt – und irgendwann hatte sie Jefe dann auch gefragt, wie es eine freie Schwarze, der die ganze Welt offenstand, ausgerechnet in diese letzte Ecke der Kolonien verschlagen konnte.
»Wegen meines Vaters«, hatte Jefe geantwortet, und Bonnie erinnerte sich noch gut an den ungeheuren Stolz in seinem Blick.
Der Junge hatte auch gar nicht mehr aufhören wollen, von seinem Vater Akwasi zu erzählen. Einem stolzen Maroon, einem wahren Kämpfer für die Freiheit, einem Vertrauten der großen »Queen Nanny«, die in den Blue Mountains auf Jamaika eine ganze Stadt freier Schwarzer gegründet und verteidigt hatte.
»Die haben da wie in Afrika gelebt, wie bei den Ashanti, das ist ein Volk großer Krieger. Aber mein Vater war der allergrößte von ihnen! Er hatte Land und zwei oder drei Frauen, die es für ihn bearbeiteten. In Afrika hat jeder Mann mehrere Frauen,weißt du, je mehr, desto stolzer kann er sein! Und Akwasi war hochgeachtet – er befehligte die Maroons, wenn sie Plantagen überfielen, er befreite unzählige Sklaven … Er war Granny Nannys bester Kämpfer …«
Jefes Augen leuchteten, wenn er von Akwasis wunderbarem Leben in den Blue Mountains erzählte. Und Bonnie meinte fast, die Trommeln zu hören, zu deren Klang seine Frauen am Abend für ihn tanzten, und das Horn, das die Maroons zum Kampf rief, wenn wieder ein Heer der Engländer oder eine Abordnung der Pflanzer versuchte, das uneinnehmbare Dorf am Stony River zu erobern.
Jefes Vater hatte es stets erfolgreich verteidigt, bis die legendäre Queen der Maroons dann doch Frieden mit den Weißen schloss – womit Akwasi sich nicht abfinden wollte. Laut Jefe hatte er Nanny Town, wie die freien Schwarzen ihr Bergdorf nannten, verlassen und den Kampf allein weitergeführt. Bei dem heldenhaften Versuch, den Gouverneur von Jamaika zu ermorden, hatte man ihn dann gefangen genommen.
Bonnie konnte auch das nicht ganz glauben – schon deshalb, weil man für den Versuch, den Gouverneur von Jamaika zu töten, doch sicher nicht nur auf die Kaimaninseln verbannt, sondern eher gleich gehenkt wurde. Aber irgendein einflussreicher Backra hatte das wohl verhindert – wofür ihm Jefe jedoch nicht dankbar war. Schließlich hatte auch sein Vater den Mann gehasst, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte.
Bonnie fragte sich ohnehin, wie Jefe mehr als verschwommene Erinnerungen an seinen Vater haben konnte. Máanu war Akwasi wohl auf die Kaimaninseln gefolgt, auch das arrangiert von irgendwelchen weißen Gönnern. Aber bis auf die Plantage, der Akwasi als Feldsklave zugeteilt wurde, hatte deren Einfluss wohl nicht gereicht. Auf jeden Fall war der Besitzer nicht bereit gewesen, Máanu ebenfalls aufzunehmen. Eine freie Schwarze in seinem Sklavenquartier kam nicht infrage, das würde nurUnfrieden stiften. Und so weit, dass Máanu sich und ihren Sohn wieder versklavte, um mit ihrem Mann auf der Pflanzung leben zu können, ging ihre Liebe nun doch nicht. Sie
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