Die Insel der roten Mangroven
bestimmt nicht absichtlich gemacht, auch wenn die Lady das meint!«, versicherte sie Nora.
Nora nickte beruhigend und streichelte über ihr Haar.
»Natürlich nicht! Die Lady ist dumm!«, erklärte Deirdre – und hielt erschrocken inne, als ihre Mutter sofort zu einer Rüge ansetzte – und Dr. Dufresne verhalten lachte.
»Man könnte das höflicher ausdrücken«, bemerkte er. »Aber …«
»… es trifft den Kern.« Nora seufzte. »Diese Lucille Warrington … Du benimmst dich dennoch unmöglich, Deirdre! Man redet nicht so über seine Nachbarn, auch wenn in diesem Fall …« Sie verhaspelte sich und bemerkte zu ihrem Unmut, dass Dr. Dufresne jetzt ebenso amüsiert über die Mutter schien wie eben über ihre Tochter. Bei ihm würden sie ja einen schönen Eindruck hinterlassen, auch wenn er ihre Einschätzung der Lady Warrington zweifellos teilte. »Und überhaupt solltest du dich langsam wieder zu deinen Gästen gesellen!«, fuhr Nora fort, Deirdre zu rügen. »Man wird dich sicher schon vermissen.«
»Wir gehen ja jetzt alle«, begütigte Dr. Dufresne. »Brauchst du uns noch, Nafia? Oder geht es dir jetzt wieder gut?«
Die Kleine nickte, wieder sehr wichtig, und Deirdre schenkte sowohl ihr als auch dem Arzt ein Lächeln. Es war so freundlich von ihm, das Mädchen noch mal nach seinem Befinden zu befragen! Sie schritt neben ihm her, als sie die Küche verließen.
»Sie machen also hier Station auf dem Weg nach Santo Domingo?«, versuchte sie es auf dem Rückweg zum Fest noch einmal mit Konversation – dieses Mal sehr langsam und vorsichtig und auf Französisch.
Dufresne nahm den Wechsel der Sprache gern auf. » Qui , Mademoiselle Deirdre, ich bin zu Gast bei Lord Bowden, er ist ein Bekannter meines Vaters. Aber ich gehöre nicht nach Santo Domingo, sondern nach Saint-Domingue – was zugegebenermaßen Verwirrung auslösen kann. Kolumbus hat die Insel einst entdeckt und für die Spanier okkupiert, doch es gab auch ein paar französische Siedler.«
»Genauer gesagt ein Piratennest auf der Île de la Tortue«, berichtigte Nora. Dufresne und Deirdre sahen sie gleichermaßen tadelnd an.
»Auf jeden Fall wurde der westliche Teil im Jahre 1665 französisches Gouvernement«, erzählte der Arzt weiter. »Tabak, Kaffee und Zuckerrohr werden dort angebaut, ein sehr florierendes Geschäft. Saint-Domingue darf sich die reichste aller französischen Kolonien nennen. Meine Familie besitzt eine der größeren Plantagen. Ich persönlich eigne mich nicht zum Pflanzer, das Medizinstudium war mir lieber. Zum Glück habe ich noch zwei ältere Brüder, sodass es kein Drama gab. Im Gegenteil, ich denke, meine Familie war froh, als ich wegging.«
Deirdre lächelte, aber Nora dachte sich ihren Teil dazu. So wie Victor Dufresne eben mit der schwarzen Nafia umgegangen war – die Selbstverständlichkeit, mit der er das schwerer verletzte Sklavenmädchen der hysterischen Lady Warrington vorgezogen hatte … Dieser junge Mann hatte wahrscheinlich keine Probleme mit Zuckerrohr- oder Tabakpflanzen, er eignete sich nur nicht zum Sklavenhalter.
»Nun, jetzt gehen Sie ja zurück nach Hause«, sagte Nora beiläufig und warf einen prüfenden Blick auf Deirdres Kleid.
Die drei betraten eben wieder den für das Fest geschmücktenGarten und würden sich gleich erneut unter die Gäste mischen. Hoffentlich fielen die Flecken nicht auf, wenn Deirdre tanzte.
Victor Dufresne nickte. »Ja, ich gedenke jedoch nicht, auf der Plantage zu leben, sondern eine Praxis in Cap-Français zu eröffnen. Das ist eine Hafenstadt, sehr schön gelegen – und äußerst reich, das Handelszentrum von Saint-Domingue. Es gibt einen Gouverneurssitz, eine sehr feine Gesellschaft lebt dort. Neuerdings nennt sich die Stadt ›Paris der Antillen‹. Wenn man sich allerdings das Hafenviertel anschaut … na ja, auch Paris hat seine dunklen Ecken. Jedenfalls finden sich in der Stadt bestimmt reichlich Patienten, arme und reiche …«
Deirdre schaute den Arzt mit großen Augen an. »Paris der Antillen?«, gab sie sich interessiert. »Sie müssen mir alles darüber erzählen. Kommen Sie, wir setzen uns in den Garten. Möchten Sie einen Rumpunsch? Unsere Köchin macht ihn mit …«
»Deirdre, du solltest vielleicht wieder einmal tanzen«, unterbrach Nora ihre Tochter und schaute gleichzeitig nach ihrem Mann aus.
Sie hoffte, dass wenigstens Doug die Gäste unterhalten hatte, während sie mit Nafia beschäftigt gewesen war und Deirdre sich an einem Flirt mit
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