Die Insel der Verdammten
Plätschern der Ruder und das Gurgeln des Wassers an der Bordwand waren zu hören. Die grimmige Kälte der virginischen Januarnacht drang mir bis ins Mark.
Plötzlich überkam William ein Hustenanfall. Vergeblich versuchte er, ihn zu unterdrücken. Er war von einigen Gläsern Grog erhitzt, mit denen ich ihn in einer Hafenkneipe traktiert hatte. Daher würgte es ihn jetzt in der kalten Luft entsetzlich. Zwischen einem Hustenausbruch und dem nächsten verwünschte er seine Kehle und stopfte den Mund mit dem Rocksaum zu; das half jedoch nicht viel. Wir fürchteten, daß uns das Geräusch die Flußpolizei auf den Hals hetzen und unsere Flucht vereiteln könnte. Zum Glück hörte mein Gefährte rechtzeitig zu husten auf.
Vor uns am Ufer erblickten wir einen schwachen Lichtschein: die Zollwache. Ich stellte das Rudern ein. Die Strömung trug uns ohnehin in die gewünschte Richtung, nämlich zur Flußmündung. Dort lag ein geheimnisvolles Schiff, das Ziel unserer nächtlichen Fahrt, vor Anker.
Vom Ufer her ließen sich Rufe vernehmen, die uns jedoch nicht betrafen. Unbemerkt glitten wir an der Zollwache vorüber, und als ihre Lichter hinter der Flußbiegung verschwunden waren, atmeten wir erleichtert auf. Die Gefahr lag hinter uns, vor uns das rettende Schiff.
Dann räusperte sich William und erklärte, das Schweigen unterbrechend:
„Well, das Schlimmste haben wir überstanden ... Jetzt noch zwei Stunden rudern . . ."
Er neigte sich zu mir und fragte mich mit einer Besorgtheit, wie ich sie bei diesem Seebären nicht vermutet hätte:
„Johnny, Junge, ist dir das Herz nicht in die Hose gefallen?" „Warum denn?" erwiderte ich gekränkt.
„Zum Henker, John, du gehst auf ein Kaperschiff! Ich sagte dir doch schon, das ist kein Kinderspiel! Wir werden Krieg führen und rauben! Wenn die Spanier uns erwischen, hängen sie uns; das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und vorher zerbrechen sie uns wahrscheinlich noch alle Knochen im Leib.”
Ich hörte zu rudern auf und sägte:
„Den Kampf fürchte ich nicht. Und du, lieber Willy, gib dir keine Mühe, mir Angst einzujagen."
„So begreif doch, John. Ich will dir ja keine Angst einjagen ... Unser Alter ist ein Schuft und Galgenvogel! Im ganzen Karibischen Meer gibt es keine solche Canaille von Kapitän! Das Leben auf unserm Kasten ist die Hölle, es ist schwer auszuhalten!"
„Und du! Hältst du es denn nicht aus? Und die übrigen?"
„Bah, wir - das ist etwas anderes! Wir sind von Kindheit auf an Salzwasser gewöhnt... Du aber bist doch eine Landratte .
Entrüstet fiel ich ihm ins Wort:
„Eine Ratte, sagst du? Ich habe mich lange genug in den Wäldern Virginias umhergetrieben und nicht selten dem Tod ins Auge gesehen. Du weißt doch, weswegen ich fliehe!"
„Ich weiß, ich weiß. . ."
Ich floh vor der Rache der virginischen Großgrundbesitzer, der englischen Lords.
Vor nahezu dreißig Jahren war mein Vater als Pionier auf der Suche nach Neuland mit seiner Familie an die Westgrenze Virginias gezogen und hatte dort mitten im Urwald, am Fuße des Alleghany-Gebirges, eine Hütte gebaut. Ständig in Gefahr, von Indianern überfallen zu werden, und im Kampf mit wilden Tieren und der unwirtlichen Natur rodete er den Wald und plagte sich jahrelang, bis es ihm endlich gelang, die Schwierigkeiten zu überwinden und die verdienten Früchte seiner Mühen zu ernten. Ihm folgten mit der Zeit auch andere Siedler, die in der Nähe ihre Wohnstätten errichteten. Das glückliche Tal kam zu Wohlstand und entwickelte sich zu einem blühenden Gemeinwesen. Genau vor einem Jahr traf uns ein unvorhergesehener Schicksalsschlag. Es erschienen die Agenten des Lords Dunbury, um uns unser Land zu nehmen. Sie beriefen sich auf ein vor Jahrzehnten erlassenes königliches Dekret, das diese Ländereien angeblich der Familie Dunbury übereignete. Gegen dieses offensichtliche Unrecht legten wir Beschwerde bei der Kolonialbehörde in Jamestown ein. Da jedoch die Regierungsgewalt von den Magnaten und Herren, den Anhängern Lord Dunburys, ausgeübt wurde, hatte unsere gerechte Sache keinen Erfolg. Als die Häscher des habgierigen Lords ins Tal kamen, um die Siedler hinauszuwerfen, taten sich einige Dutzend von uns Grenzbewohnern zusammen und leisteten bewaffneten Widerstand. Ich war einer der Anführer.
Aus Furcht, der Aufstand könnte sich wie vor einem halben Jahrhundert, zu Zeiten Bacons, im Lande ausbreiten, setzten die Herren sogleich überlegene Kräfte gegen uns ein. Sie schlugen uns
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