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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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das Streicheln ihres Daumens. Wie tot. Er war weit weg von ihr, er nahm sie nicht wahr, mied ihren Blick. Seine Stirn lag in Falten, sein Mund war verschlossen und verkrampft. Die weichen, fülligen Lippen lagen wie dünne Strandhalme aufeinander. Er schwieg. Das Schweigen machte Keike unruhig. Es lastete auf ihr. Was trennte sie voneinander?
    Andreas schaute auf. Seine Augen flackerten unruhig. Er drehte sich von ihr weg. Keike spürte Angst. Sein Schweigen breitete sich über sie aus wie das schwarze Kleid, das sie trug. Sie traute sich nicht, noch einmal zu fragen.
    Das Schweigen umhüllte sie wie ein Sack, der sich immer fester zuzog. Es wurde ihr unerträglich. Sie musste die Stille brechen, das Schweigen, das sie an Harck erinnerte, zerreißen.
    »Was ist?«, fragte sie.
    Andreas Hartmann wünschte sich, weit fort zu sein. Lieber würde er in den Boden sinken, als ihr zu sagen, dass … Alles war zu Ende. Er hatte gehofft, noch ein paar Stunden, Nächte mit ihr zu verbringen. Er blickte sie an, krank vor Liebe. Um nicht weinen zu müssen, drehte er sich wieder zur Seite. Der Wind rauschte, schlug mit lautem Zischen in seine Ohren. Hilflose Trauer und Wut stiegen in ihm auf. Er fühlte sich wehrlos gegen das, was auf ihn zukam. Almut drängte sich in seine Liebe zu Keike. Er konnte sie nicht mehr aufhalten. Er hätte die Möglichkeit gehabt, aber er hatte ihren Brief, der ihr Kommen ankündigte, zu spät geöffnet. Eine Absage würde sie nicht mehr erreichen.
    Noch nie war Almut ihm gefolgt, noch nie hatte sie an einer Leuchtturm-Einweihung teilgenommen. Ahnte sie etwas, oder war es der König, der sie auf die Insel zog?
     
    »Lass mich in Ruh!«, schrie es in ihm. Er war starr vor Wut. Warum verfolgte sie ihn? Er wünschte, sie wäre tot. Tot!
    Eine Sandbö wehte ihm ins Gesicht. Wie eine Ohrfeige schlugen ihm die Körner an die linke Wange, gelangten in seinen Mund, wo sie stumpf auf den Zähnen knirschten.
    Er riss Keike an sich, klammerte sich an sie. Er versuchte, zu sprechen. Seine Kehle verklemmte sich. Er presste Keike an sich wie ein Ertrinkender. Der Wind hieb mit Fäusten auf ihn ein. Angst überfiel ihn. Sein Herz stockte wie seine Stimme. Alle Sicherheit hatte ihn verlassen. Er kannte sich nicht mehr. Hatte er sich jemals gekannt? Ein Lügner war er, ein Mensch, dem man nicht trauen durfte, ein Feigling, ein Schwächling. Sein Schweigen, sein Würgen schnürten ihn ein wie einen Gefesselten. Er presste Keike an sich, stöhnte im Einklang mit dem Wind, bis sich seine Stimme löste und die bittere Wahrheit preisgab, holprig, als würde sie über Stock und Stein schleifen.
    »Almut und die Kinder werden am Montag auf der Insel sein. Keike, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
    Er vergrub seinen Kopf in ihrer Achselhöhle. Sein Körper zuckte. Er weinte. In Keike bildete sich zäher, schwarzer Schleim. Klebrig wie Teer. Sie konnte kaum atmen. Ihre Tränen überschwemmten sie wie eine Springflut, vermengten sich mit Andreas’ Tränen, aus denen die Hoffnungslosigkeit hervorquoll. Sie weinten einen Trauersee. Sie schwammen darauf, um darin unterzugehen. Und nichts blieb außer Qual und Sehnsucht. Andreas ging fort. Sie hatten einen Traum gelebt. Einen Wunschtraum.
     
    Sie weinten, schluchzten, küssten sich. Ihre Tränen nässten ihre Haut. Keike umschlang ihn mit Armen und Beinen. Sie klammerten sich aneinander, als könnten sie sich unzertrennlich machen. Keuchen, atmen, schreien, lieben, um sich Trost zu spenden und nicht zu verzweifeln, um Leere und Verlassenheit zurückzustoßen, als könnten sie sich retten. Aber sie konnten sich nicht retten. Sie liebten sich in vergangenem Glück und zukünftigem Unglück, das kommen würde wie Flut und Ebbe, Glück und Unglück, Ebbe und Flut, Unglück und Glück, Flut und Ebbe. Nichts konnte die Gezeiten aufhalten.
     
    Keike löste sich von ihm. Sie fühlte sich wie eine zertretene Muschel, oder wie ein Zündholz, das entfacht worden war und seinem unwiederbringlichen Ende entgegenglomm. Ein letztes Aufflackern. Dann verschwand sie in der pechschwarzen Finsternis.
    Aus dem undurchdringlichen Dunkel ertönte das traurige Lied des Zwergenkönigs. Von überall her tönte es. Von den Gipfeln der Dünen, aus den Grasnarben, den Heidesträuchern, den Höhlen im Sand. Wie Irrlichter huschten die Töne durch das Schwarz.
     
    Jammer, Jammer hin und her
     
    Ich bin am Verzagen.
     
    Es drückt mir an mein Herz zu sehr,
     
    Ich darf es niemand sagen.
     
    Diese mit dem

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