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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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Hüften gestemmt, auf das dichte Grün hinter mir, in das die Schlucht wie eine dampfende Wunde hineinschnitt. Aber, wie gesagt, ich war zu aufgeregt und - wenn auch jemand, der die Gefahr nie gekannt hat, mir vielleicht nicht glauben mag - zu verzweifelt, um zu sterben.
    Dann fiel mir ein, daß mir noch eine Möglichkeit blieb. Konnte ich nicht, während Moreau und Montgomery und ihr bestialischer Pöbel mich durch die Insel jagten, am Strand entlanggehen, bis ich zu dem ummauerten Hof kam? Einen Flankenmarsch um sie herum machen und dann vielleicht mit einem Stein aus der lose gebauten Mauer das Schloß der kleineren Tür zerschmettern und sehen, was ich finden konnte - Messer, Pistole, oder sonst etwas -, um mit ihnen zu kämpfen, wenn sie zurückkehrten?
    Ich wandte mich also nach Westen und ging am Meeresrand entlang. Die untergehende Sonne blendete mich mit ihren heißen Strahlen. Die leichte Flut des Stillen Ozeans lief mit leisem Murmeln ein.
    Plötzlich fiel die Küste nach Süden ab, und die Sonne war zu meiner Rechten. Dann sah ich unvermutet weit vor mir erst eine und dann mehrere Gestalten aus den Büschen auftauchen - Moreau mit seinem grauen Spürhund, dann Montgomery und noch zwei andere. Ich blieb stehen.
    Sie sahen mich und begannen zu gestikulieren und auf mich zuzulaufen. Ich beobachtete ihr Nahen. Die beiden Tiermenschen kamen herbeigerannt, um mir den Weg zum Gebüsch abzuschneiden. Montgomery lief geradewegs auf mich zu. Moreau folgte langsamer mit dem Hund.
    Schließlich raffte ich mich auf, wandte mich seewärts und lief direkt ins Wasser. Das Wasser war erst sehr seicht. Ich war dreißig Meter weit draußen, ehe mir die Wellen bis an die Hüften reichten. Undeutlich sah ich, wie kleine Meerestiere vor meinen Füßen aufschreckten.
    »Was treiben Sie, Mann?« rief Montgomery.
    Ich wandte mich, bis an die Brust im Wasser stehend, um und starrte ihn an.
    Montgomery stand atemlos am Rande des Wassers. Sein Gesicht war leuchtend rot vor Anstrengung, sein langes Flachshaar hing ihm wirr um den Kopf, und seine hängende Unterlippe gab die unregelmäßigen Zähne frei. Moreau kam gerade herzu, das Gesicht bleich und entschlossen, und der Hund, den er an der Leine führte, bellte mich an. Beide Männer trugen schwere Peitschen. Weiter oben am Strand warteten und glotzten die Tiermenschen.
    »Was ich treibe? Ich will mich ertränken«, sagte ich.
    Montgomery und Moreau sahen sich an. »Warum?« fragte Moreau.
    »Weil das besser ist, als mich von Ihnen foltern zu lassen.«
    »Ich sagte es Ihnen ja«, bemerkte Montgomery, und Moreau sprach im Flüsterton mit ihm.
    »Warum meinen Sie, daß ich Sie foltern werde?« fragte Moreau.
    »Wegen der Dinge, die ich gesehen habe«, sagte ich. »Und wegen der Geschöpfe da hinten.«
    »Still!« sagte Moreau und hob die Hand.
    »Ich will nicht«, sagte ich. »Sie waren Menschen: was sind sie jetzt? Ich wenigstens will nicht wie sie enden.« Ich sah an den beiden vorbei. Am Strand standen M’ling, Montgomerys Diener, und eines von den weißbandagierten Tieren aus dem Boot. Weiter oben sah ich im Schatten der Bäume meinen kleinen Affenmenschen und hinter ihm noch andere undeutliche Gestalten.
    »Wer sind diese Geschöpfe?« fragte ich, indem ich auf sie zeigte und meine Stimme mehr und mehr erhob. »Sie waren Menschen - Menschen wie Sie, Menschen, die Sie zu Sklaven gemacht haben und die Sie noch fürchten. - Ihr, die ihr mich hört«, schrie ich, zeigte auf Moreau und rief die Tiermenschen an: »Ihr, die ihr mich hört! Seht ihr nicht, daß euch diese Menschen noch fürchten, daß sie in Angst vor euch umhergehen? Warum also fürchtet ihr sie? Ihr seid viele ...«
    »Um Gottes willen«, rief Montgomery, »hören Sie auf, Prendick!«
    »Prendick!« rief Moreau.
    Beide schrien durcheinander, als wollten sie meine Stimme übertönen. Und hinter ihnen drohten die starren Gesichter der Tiermenschen; ihre Hände hingen herunter, ihre Schultern waren hochgezogen. Es schien, wie ich mir damals dachte, als versuchten sie, mich zu verstehen und sich auf etwas von ihrer menschlichen Vergangenheit zu besinnen.
    Ich schrie weiter, ich weiß kaum mehr, was. Moreau und Montgomery könnten ohne weiteres getötet werden; sie seien nicht zu fürchten: das hauptsächlich setzte ich dem Tiervolk in den Kopf - zu meinem eigenen Schaden, wie sich später herausstellen sollte. Ich sah den grünäugigen Mann mit den dunklen Lumpen, der mir am Abend meiner Ankunft begegnet war, aus den

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