Die Insel des Dr. Moreau
was Sie verlangen - selbst um den Preis einiger persönlicher Unannehmlichkeiten.«
Er saß in meinem Schiffsstuhl, eine halb aufgerauchte Zigarre in den weißen, geschickt aussehenden Fingern. Das Licht der Lampe fiel auf sein weißes Haar; er blickte durch das kleine Fenster in den Sternenschein hinaus. Ich saß ihm so fern wie möglich, den Tisch zwischen uns, die Revolver zur Hand. Montgomery war nicht anwesend. Ich wünschte nicht, sie in einem so kleinen Zimmer beide gegen mich zu haben.
»Sie geben zu, daß das vivisezierte menschliche Wesen, wie Sie es nennen, schließlich doch nur der Puma ist?« fragte Moreau. Er hatte mich in das innere Zimmer geführt, um mich davon zu überzeugen, daß die Schreie, die ich gehört hatte, nicht von einem Menschen stammten.
»Es ist der Puma«, sagte ich, »noch lebendig, aber zerschnitten und verstümmelt; und ich hoffe, lebendiges Fleisch nie wieder in einem solchen Zustand zu sehen. Von allen gemein ...«
»Einerlei«, erwiderte Moreau. »Wenigstens verschonen Sie mich mit diesem jugendlichen Abscheu. Montgomery war genauso. Sie geben zu, es ist der Puma. Jetzt seien Sie ruhig, während ich Ihnen meinen physiologischen Vortrag halte.« Und alsbald begann er im Ton eines Mannes, der sich höchlich langweilt, wurde dann etwas lebhafter und setzte mir sein Werk auseinander. Er sprach sehr einfach und überzeugend. Hin und wieder verriet seine Stimme etwas Sarkasmus. Bald war mir heiß vor Scham über unsere Auseinandersetzung.
Die Geschöpfe, die ich gesehen hatte, waren keine Menschen, waren nie Menschen gewesen. Es waren Tiere - vermenschlichte Tiere -, Triumphe der Vivisektion.
»Sie vergessen, was ein geschickter Vivisektor mit lebendigen Wesen alles vermag«, sagte Moreau. »Ich für mein Teil kann mir nicht erklären, warum das, was ich hier getan habe, nicht schon früher versucht wurde. Kleine Experimente sind natürlich gemacht worden - Amputationen, Zungenschnitte, Exzisionen. Natürlich wissen Sie, daß der Chirurg Schielen hervorrufen wie auch heilen kann. Ferner kann man durch Exzisionen eine ganze Reihe von sekundären Veränderungen, Pigmentstörungen, Modifikationen des Trieblebens, Wandlungen in der Sekretion der Fettgewebe bewirken. Ich zweifle nicht, daß Sie von diesen Dingen gehört haben?«
»Natürlich«, sagte ich. »Aber diese Ihre scheußlichen Geschöpfe ...«
»Alles zu seiner Zeit«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Ich fange erst an. Das sind triviale Fälle der Veränderung. Die Chirurgie vermag Besseres als das. Es gibt sowohl ein Aufbauen wie ein Niederreißen und Verändern. Sie haben vielleicht von einer ganz gewöhnlichen Operation gehört, die man bei Fällen durchführt, bei denen die Nase arg entstellt wurde. Man schneidet ein Stück Haut aus der Stirn, klappt es auf die Nase herunter, und es verheilt in der neuen Lage. Dabei handelt es sich um eine Verpflanzung an ein und demselben Tier. Transplantation frisch gewonnenen Materials von einem anderen Tier ist gleichfalls möglich - bei Zähnen, zum Beispiel. Die Verpflanzung von Haut und Knochen erfolgt, um die Heilung zu erleichtern. Der Chirurg legt mitten in die Wunde Hautstückchen, die von einem anderen Tier genommen sind, oder Knochenfragmente von einem frisch getöteten Tier. Hunters Hahnensporn - vielleicht haben Sie davon gehört - wuchs am Nacken eines Stiers an. Denken Sie auch an die Rhinozerosratten der Algierzuaven - Monstren, die man erzeugte, indem man ein Stück vom Schwanz einer gewöhnlichen Ratte auf ihre Schnauze verpflanzte und es dort anheilen ließ.«
»Künstliche Ungeheuer!« sagte ich. »Also wollen Sie mir sagen ...«
»Ja. Diese Geschöpfe, die Sie gesehen haben, sind neu gestaltete und geformte Tiere. Dem - dem Studium der Bildung lebendiger Formen - ist mein Leben gewidmet gewesen. Ich habe jahrelang studiert und gewinne beständig an Wissen. Ich sehe, Sie schauen entsetzt drein, und doch erzähle ich Ihnen nichts Neues. Das alles lag schon vor Jahren im Bereich der Möglichkeiten der praktischen Anatomie, aber niemand hatte die Verwegenheit, daran zu rühren. Ich kann nicht nur die äußere Form eines Tieres verändern. Auch die Physiologie, den Stoffwechsel des Geschöpfes kann man einer dauernden Modifikation unterwerfen; sicherlich sind Ihnen die Impfung und andere Methoden der Inokulation mit lebendem oder totem Stoff vertraut. Ähnlich verhält es sich mit der Transfusion des Blutes, von der ich ausgegangen bin. Das alles
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