Die Insel des Dr. Moreau
machte daraus ein Wesen voll Schmerz und Furcht und ließ es dann, zum Heilen verbunden, liegen. Es erschien mir ganz menschlich, als ich fertig war, aber später war ich unzufrieden damit; es erinnerte sich an mich und hatte unvorstellbare Angst und nur einen Schafsverstand. Je mehr ich es ansah, um so mißglückter schien es mir, bis ich das Ungeheuer schließlich aus seinem Elend erlöste. Diese Tiere ohne Mut, diese angstgeplagten, schmerzgetriebenen Wesen ohne einen Funken kämpferischer Energie, mit der sie der Qual entgegentreten können - die taugen nicht zur Umwandlung in Menschen.
Dann nahm ich einen Gorilla, und daraus machte ich, indem ich mit unendlicher Sorgfalt arbeitete und Schwierigkeit nach Schwierigkeit überwand, meinen ersten Menschen. Die ganze Woche lang formte ich Tag und Nacht an ihm. Hauptsächlich das Gehirn mußte umgebildet, viel mußte hinzugefügt, viel geändert werden. Ich fand, der Gorilla sei ein schönes Beispiel des negroiden Typus, als ich fertig war und er bandagiert, gebunden und reglos vor mir lag. Erst als es sicher war, daß er am Leben bleiben würde, verließ ich ihn und fand Montgomery so ziemlich in der gleichen Verfassung vor, in der Sie jetzt sind. Er hatte Schreie gehört, als das Tier menschlich wurde, Schreie wie die, die Sie so verstörten. Ich zog ihn anfangs nicht ganz ins Vertrauen. Und auch die Kanaken hatten etwas gemerkt. Sie waren bei meinem Anblick vor Angst außer sich. Montgomery gewann ich für mich - wie auch immer, aber ich und er, wir hatten schwer zu tun, die Kanaken am Davonlaufen zu hindern. Schließlich taten sie’s doch, und so verloren wir die Jacht. Ich habe viele Tage damit zugebracht, den Affenmenschen zu unterrichten - im ganzen drei oder vier Monate lang. Ich brachte ihm ein paar Brocken Englisch bei, vermittelte ihm einen Begriff vom Zählen, lehrte ihn sogar das Alphabet lesen. Aber da war er langsam - freilich, Idioten, die ich’s ebenfalls gelehrt habe, waren mitunter noch langsamer. Er war geistig ein unbeschriebenes Blatt, hatte keine Erinnerung mehr an das, was er gewesen war. Als seine Wunden geheilt waren und er nur noch etwas steif war, sich aber bereits ein wenig unterhalten konnte, brachte ich ihn dahinter und stellte ihn den Kanaken als interessantes Strandgut vor.
Sie hatten erst furchtbare Angst vor ihm - was mich ziemlich beleidigte, denn ich bildete mir etwas auf ihn ein -, aber sein Wesen schien so sanftmütig, daß sie ihn nach einiger Zeit aufnahmen und seine Erziehung fortsetzten. Er lernte schnell, ahmte seine Lehrmeister nach und paßte sich an. Er baute sich eine Hütte, die mir besser schien als die Schuppen der Kanaken. Unter den Jungen war einer so etwas wie ein Missionar, und der lehrte das Geschöpf lesen und vermittelte ihm einige Grundbegriffe von Moral, aber es scheint, die Sitten des Tieres waren nicht ganz so, wie man wünschen sollte.
Ich ruhte einige Tage von der Arbeit aus und hatte Lust, einen Bericht über die ganze Sache zu schreiben, um die englische Physiologie aufzurütteln. Dann traf ich das Geschöpf hoch in einem Baum sitzend, wie es auf zwei von den Kanaken einschnatterte, die ihn geärgert hatten. Ich drohte ihm, sagte ihm, ein solches Vorgehen sei nicht menschenwürdig, weckte sein Schamgefühl und entschloß mich, Besseres zu machen, ehe ich meine Arbeit in England vorstellte. Ich habe Besseres hervorgebracht, aber irgendwie verkümmern die Geschöpfe wieder, das zähe Tierfleisch ist stärker, wächst nach ... Ich gedenke immer noch, Besseres zu machen. Dieser Puma ...
Das ist also die Geschichte. All die Kanakenjungen sind jetzt tot. Einer fiel vom Langboot über Bord, und einer starb an einer Wunde an der Ferse, die er sich irgendwie mit Pflanzensaft infiziert hatte. Drei gingen mit der Jacht durch und ertranken, wie ich vermute und hoffe. Der letzte ... wurde getötet. Nun - ich habe sie ersetzt. Montgomery trieb’s erst ziemlich wie Sie, dann ...«
»Was wurde aus dem letzten?« fragte ich scharf. »Dem Kanaken, der getötet wurde?«
»Die Sache ist die, nachdem ich eine Anzahl menschlicher Geschöpfe gemacht hatte, stellte ich ein Wesen her ...« Er zögerte.
»Ja?« sagte ich.
»Es wurde getötet.«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich. »Wollen Sie etwa sagen ...«
»Ja - es tötete den Kanaken. Es tötete verschiedenes andere, was es zu fassen bekam. Wir machten ein paar Tage Jagd darauf. Es kam durch einen Zufall frei - ich hatte nie daran gedacht, es fortzulassen. Es war
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