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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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nicht fertig. Es war nur ein Experiment: ein gliederloses Geschöpf mit einem furchtbaren Gesicht, das sich nach Schlangenart am Boden wand. Es war ungeheuer stark und rasend vor Schmerz, und es bewegte sich schaukelnd wie ein Tümmler. Es lauerte ein paar Tage im Wald und vernichtete alles, was ihm begegnete, bis wir es jagten. Und dann verkroch es sich im nördlichen Teil der Insel, und wir teilten uns, um es einzukreisen. Montgomery bestand darauf, mit mir zu kommen. Der Kanake hatte eine Flinte, und als seine Leiche gefunden wurde, war einer der Läufe zu einem S gebogen und beinahe durchgebissen ... Montgomery erschoß das Untier ... Seither habe ich mich an das Ideal des Menschen gehalten - abgesehen von ein paar Kleinigkeiten.«
    Er verstummte. Ich saß schweigend da und sah sein Gesicht an.
    »So habe ich im ganzen zwanzig Jahre lang - wenn ich die neun Jahre in England zähle - gearbeitet, und dennoch ist da etwas, was mich unzufrieden läßt, was mich zu weiteren Versuchen herausfordert. Bisweilen erhebe ich mich über mein Niveau, bisweilen sinke ich darunter, aber nie erreiche ich das, wovon ich träume. Die menschliche Gestalt kann ich jetzt beinahe mit Leichtigkeit formen, so daß sie geschmeidig und anmutig ist oder derb und stark; aber oft hab’ ich Mühe mit den Händen und Klauen - heikle Dinge, die ich nicht zu frei zu formen wage. Aber meine Hauptschwierigkeit liegt in der subtilen Veredlung und Umbildung des Gehirns. Die Intelligenz ist oft merkwürdig niedrig, und sie weist unerklärliche, unerwartete Lücken auf. Am schlimmsten ergeht es mir jedoch mit dem Sitz der Gefühle. Ich weiß nicht, wo er liegt, ich komme nicht daran heran. Wünsche, Sehnsuchtsäußerungen, Instinkte, die der Menschlichkeit Abbruch tun, ein seltsames verborgenes Reservoir, das plötzlich ausbricht und das ganze Wesen des Geschöpfes mit Wut, Haß oder Furcht überschwemmt. Diese meine Geschöpfe erschienen Ihnen seltsam und unheimlich, sowie Sie anfingen, sie zu beobachten; aber mir erscheinen sie, wenn ich sie gerade gemacht habe, unbestreitbar menschlich. Erst wenn ich sie später beobachte, beginne ich zu zweifeln. Erst stiehlt sich der eine, dann der andere tierische Zug wieder an die Oberfläche und springt mir ins Auge ... Aber ich werde noch siegen. Jedesmal, wenn ich ein lebendes Geschöpf ins Bad des brennenden Schmerzes tauche, sage ich mir: Diesmal will ich das Tier ganz auslöschen, diesmal will ich ein vernünftiges Wesen schaffen. Was sind schließlich zehn Jahre? Am Menschen ist hunderttausend Jahre lang geschaffen worden.«
    Er dachte nach. »Aber ich komme der Sache näher. Dieser mein Puma ...«
    Nach einem Schweigen: »Und sie entwickeln sich wieder rückwärts. Sobald ich meine Geschöpfe sich selbst überlasse, beginnt das Tier sich wieder geltend zu machen ...«
    Ein weiteres langes Schweigen.
    »Und dann bringen Sie die Wesen, die Sie machen, in diese Höhlen?« fragte ich.
    »Sie gehen von selbst hin. Ich werfe sie hinaus, sobald ich das Tier in ihnen zu fühlen beginne, und dann wandern sie gleich dorthin. Sie fürchten alle dies Haus und mich. Was Sie da drüben gesehen haben, ist eine Parodie der Menschheit. Montgomery weiß darüber Bescheid, denn er kümmert sich darum. Er hat einen oder zwei von den Geschöpfen zu unserem Dienst abgerichtet. Er schämt sich, aber er hat ein paar von diesen Bestien beinahe lieb. Das ist seine Sache, nicht meine. Wenn ich sie sehe, quält mich nur das Gefühl des Mißerfolgs. Ich interessiere mich nicht für sie. Ich denke mir, sie folgen der Richtung, die der Kanaken-Missionar ihnen vorgegeben hat, und ihr Leben gleicht der Karikatur eines vernünftigen Lebens - die armen Bestien! Sie haben etwas, das sie das Gesetz nennen. Sie singen Hymnen. Sie bauen ihre Hütten, sammeln Früchte und heiraten sogar. Aber ich durchschaue das alles, sehe ihnen bis in die Seelen, und sehe nichts als die Seelen von Tieren, Tieren, die untergehen - und die Lust, zu leben und zufrieden zu sein ... Und doch sind sie merkwürdig. Kompliziert, wie alles Lebendige. Sie haben so etwas wie Ehrgeiz, der teils aus Eitelkeit, teils aus übermäßiger Geschlechtserregung, teils aus überschüssiger Neugier entstanden sein dürfte. Mir ist es nur Hohn ... Ich habe einige Hoffnung mit diesem Puma; ich habe an seinem Kopf und Gehirn schwer gearbeitet ...«
    »Und jetzt«, sagte er nach einem langen Schweigen, während dessen jeder seinen eigenen Gedanken folgte, »was meinen Sie? Haben

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