Die Insel des Schreckens
fallen?« fragte Mythor.
»O nein«, sagte Sadagar und schüttelte heftig den Kopf. »Es gibt zahllose Arten. Entsetzliche Geschichten, bei denen selbst das Erzählen oder Zuhören eine kaum erträgliche Qual bedeutet.«
»Blutregen«, flüsterte Kalathee leise und schauderte.
»Du hast recht«, stimmte ihr der Steinmann zu. »Und haben wir eine Erklärung für die Verfärbung des Meeres und die Farbe, die unsere Kleidung, das Deck des Schiffes und deinen Körper bedeckt, Mythor?«
»Es sind die Waffen finsterer Mächte«, raunte Kalathee.
»Ja, viele vermuten das«, sagte Sadagar. »Aber niemand weiß etwas Genaues. Es heißt, die Wolken bildeten sich weit im Süden über der Zone ewiger Finsternis. Sie würden ausgespien aus den Schlünden schwarzer Mächte, in die höchsten Höhen der Welt geschleudert und von magischen Winden davongetrieben.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Nottr mit unverkennbarem Hohn. »Lassen wir uns überraschen von dem, was sich uns bieten wird.« Er legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den zusammengeballten Wolken hoch, die sich allmählich auf die Kurnis herniedersenkten. »Ich bin bereit«, sagte er.
*
Es begann mit einem zweiten gewaltigen Donnerschlag. Der Lärm ließ den Schiffsrumpf erzittern und spannte die Trommelfelle der Schiffsbesatzung bis an der Rand der Erträglichkeit.
»Das Grauen wird uns vernichten!« flüsterte Sadagar. Sein schmächtiger Körper begann heftig zu beben, aus seinem Gesicht wich das Blut.
»Geh unter Deck und schließ die Luke«, riet Mythor Kalathee. Aber die Frau schüttelte den Kopf. »Ich bleibe!« sagte sie mit fester Stimme.
Zuerst waren es nur vereinzelte Tropfen, die in unregelmäßigen Abständen auf die Planken der Kurnis schlugen. Dicke Wassertropfen, die sich in nichts von einem normalen Regen unterschieden.
»Wann kommen die Frösche?« spottete Nottr.
Kurz darauf verdunkelte sich der Himmel. Der rote Kreis wurde schwarz. Tiefschwarz. Lediglich das helle, leuchtende Gelb der zusammengeballten Wolken wurde intensiver und kräftiger. Es bildete einen eigenartigen Kontrast zu dem düsteren Hintergrund.
Die Heftigkeit des Regens nahm zu. Die Tropfen wurden dicker, fielen dichter und schneller. Nach kurzer Zeit strömte das Wasser vom Himmel, floss in Sturzbächen über das Deck und spülte die blutrote Farbe, die noch von der Riesenwelle herrührte, ins Meer.
Gleißende Blitze lösten sich aus den Wolken und stießen wie Schlangen auf den Mast der Kurnis nieder. Ein fluoreszierender Kranz hellen Lichtes legte sich um das Schiff. Windböen erfassten die Kurnis, wirbelten sie herum und trieben sie auf einen unbestimmbaren Kurs. Der hölzerne Griff des Steuerruders pendelte in der Halterung und schlug einen rhythmischen Takt. Grüne Schleimfäden mischten sich in den Regen. Sie klebten am Mast und an den Tauen und tropften zäh auf das Deck. In kurzer Zeit bildete sich dort eine schleimige, rutschige Schicht. Sie fühlte sich warm an, und grünlicher Nebel und Dämpfe gingen von ihr aus. Ein bestialischer Gestank stieg der Besatzung in die Nasen. Er erschwerte das Atmen und legte sich schwer auf die Lungen.
Mythor ergriff den nassen, durchtränkten Rand seiner Fellweste und presste ihn sich vor Mund und Nase. Dabei streifte sein Handrücken den breiten Ledergürtel. Im Augenblick durchfuhr ihn ein Schock.
Das Gläserne Schwert - es fehlte! Mythor registrierte es mit Schrecken. Sein Gürtel war leer. Alton, die Waffe mit der klagenden Klinge, war verschwunden. In diesem Augenblick schossen ihm hundert verschiedene Gedanken gleichzeitig durch den Kopf.
Hatte er die Waffe bei seiner Rückkehr auf das Schiff noch besessen? Oder hatte er sie verloren, als ihn die Strudel der gewaltigen Welle herumwirbelten? Hatte ihm das Meer der Spinnen die Waffe geraubt? Er zermarterte sich sein Gehirn. Wenn es so war, dass ihm die Waffe im Wasser aus dem Gürtel geglitten war, war sie für alle Zeit verloren. Sie würde auf dem Grund des Meeres liegen, und niemand würde sie im Kampf gegen die Mächte der Finsternis einsetzen können.
Aber so konnte es nicht gewesen sein, durfte es nicht gewesen sein. Mythor dachte wieder an den Augenblick, in dem die Leinwand mit einem lauten, platzenden Knall zerriss. Er spürte wieder den groben Hanf des Taues, der sich ihm um den Fußknöchel legte und zusammenzog. Er wurde gewaltsam hochgerissen, und dann glitt Alton aus dem Gürtel.
Deutlich stand wieder das Bild vor seinen Augen. Das Gläserne
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