Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
hinüberginge, wäre ich umb einen Tag jünger!«, sagte Roberto.
»Ebendieß war ja mein kleiner Jokus. Aber mir gehts nit darumb, ob du jünger bist oder älter. Mir gehts darumb, daß an dieser Stelle der Erden eine Linea ist, auf welcher hüben der Tag darnach ist und drüben der Tag darvor . Und das nicht nur umb Mitternacht, sondern auch umb sieben, umb zehen Uhr und zu jedweder Stunde! Ergo nahm Gott aus diesem Abgrund das Wasser von gestern (das du dort siehest) und goss es auf die Welt von heute, und am nächsten Tage selbiges abermals und so fort! Sine miraculo, naturaliter! Gott hatte die Natur praedisponiret wie eine Grosse Uhr! Es ist, wie wenn ich hätt eine Uhr, die nit zwölf, sondern vierundzwanzig Stunden anzeigt. Auf dieser Uhr gienge der Zeiger zur Vierundzwanzig, und rechts von der Vierundzwanzig wär gestern und links morgen!«
»Aber wie hat es die Erde von gestern gemacht, dass sie am Himmel feststehen blieb, wenn sie doch kein Wasser mehr in dieser Hemisphäre hatte? Hatte sie nicht ihr Centrum Gravitatis verloren?«
»Du denckst in den Conceptiones humanae der Zeit. Für uns Homines existiert das Gestern nicht mehr und das Morgen noch nicht. Tempus Dei, quod dicitur Aevum , Gottes Zeit, die man nennt Ewigkeit, ist gantz anderst geartet.«
Roberto überlegte: Wenn Gott das Wasser von gestern nahm und es ins Heute goss, hatte vielleicht die Erde von gestern eine Erschütterung wegen dieses verflixten Gravitationszentrums, aber den Menschen konnte das egal sein. In ihrem Gestern hatte die Erschütterung ja nicht stattgefunden, sie geschah nur in einem Gestern von Gott, der selbstverständlich in der Lage war, mit verschiedenen Zeiten und verschiedenen Geschichten zu hantieren wie ein Erzähler, der verschiedene Romane schreibt, alle mit denselben Personen, die er jedoch von einer Geschichte zur anderen verschiedeneDinge erleben lässt. Wie wenn es ein Rolandslied gegeben hätte, in dem Roland unter einer Kiefer stirbt, und ein anderes, in dem er nach dem Tod Karls des Großen König von Frankreich wird und Ganelons Haut als Bettvorleger nimmt. Ein Gedanke, der Roberto, wie wir sehen werden, noch lange beschäftigen und schließlich davon überzeugen sollte, dass die Welten nicht nur unendlich viele im Raum sein können, sondern auch parallel in der Zeit. Doch darüber wollte er nicht mit Pater Caspar sprechen, der schon den Gedanken unendlich vieler Welten im Raum als äußerst häretisch ansah und zu dieser Spekulation wer weiß was gesagt hätte. So begnügte er sich damit, ihn zu fragen, wie Gott es angestellt habe, das ganze Wasser von gestern ins Heute zu kriegen.
»Nun, einfach indem Er die Vulkane unter den Meeren hat außbrechen lassen! Denck nur einmal: Sie stossen feurige Winde auß, und was geschiehet, wenn ein Topf Milch erwermet wird? Die Milch blähet sich, steiget empor, fliesset über den Rand und ergeusset sich auf den Herd! Aber damahlen wars nit Milch, sondern aufkochend Wasser. Grosse Katastrophe!«
»Und wie hat Gott all das Wasser nach vierzig Tagen wieder weggekriegt?«
»Als es nit mehr regnete, schien die Sonne, und ergo ist das Wasser mählich verdampffet. Die Bibel sagt, hundertundfünfzig Tage hat es gedauret. Wann du kanst dein Hemmed an einem Tage waschen und trocknen, kan die Erde in hundertundfünfzig Tagen trocknen. Außerdem ist viel Wasser auch zurückgeflossen in riesige unterirdische Seen, die sich noch heute zwischen der Erdkrusten und dem Feuer in der Erdmitten befinden.«
»Ihr habt mich fast überzeugt«, sagte Roberto, dem weniger daran lag zu wissen, wie jenes Wasser entfernt worden war, als dass er sich zwei Schritte vom Gestern entfernt befand. »Aber was habt Ihr durch Eure Reise hierher bewiesen, was Ihr nicht schon vorher im Licht der Vernunft bewiesen hattet?«
»Das Licht der Vernunfft überlaß ich der alten Theologie. Heutzutage verlangt die Wissenschafft den Beweis durch Experimenta. Und den Beweis durch Experimenta hab ich dardurch erbracht, daß ich hiero herkommen bin. Und bevorich hiero angekommen, habe ich viele Tieffenmessungen vorgenommen, und darumb weiß ich, wie tieff das Meer da drüben ist.«
Danach hatte Pater Caspar von seinen geo-astronomischen Darlegungen abgelassen und sich auf die Beschreibung der Sintflut verlegt. Er sprach jetzt in seinem Gelehrtenlatein, bewegte die Arme, wie um die verschiedenen Erscheinungen am Himmel und im Erdinnern zu beschwören, und ging mit großen Schritten auf dem Deck hin und her.
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