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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die der großen Insel, die Roberto im Westen sah. Wenn Pater Caspar nur nicht gesagt hätte, dass der schicksalhafte Meridian genau vor der Insel im Osten verlief. Denn wenn wir uns westlich des Meridians befinden, sehen wir Taveuni im Osten und nicht im Westen liegen; und wenn man im Westen eine Insel sieht, die Robertos Beschreibungen zu entsprechen scheint, dann gäbe es zwar im Osten einige kleinere Inseln (ich würde für Qamea optieren), aber dann ginge der Meridianim Rücken dessen vorbei, der auf die Insel unserer Geschichte blickt.
    Die Wahrheit ist, dass es sich mit den Angaben, die Roberto macht, unmöglich klären lässt, wo die Daphne lag. Im übrigen sind diese Inselchen alle wie die Japaner für die Europäer und umgekehrt: sie sehen sich alle gleich. Ich hab's nur mal erwägen wollen. Eines Tages würde ich gerne Robertos Reise wiederholen, auf der Suche nach seinen Spuren. Aber eine Sache ist meine Geographie und eine andere seine Geschichte.
    Bleibt uns als einziger Trost, dass all diese Spitzfindigkeiten aus der Sicht unseres ungewissen Romans völlig irrelevant sind. Was Pater Caspar zu Roberto gesagt hatte, war, dass sie sich auf dem hundertachtzigsten Meridian befanden, dem Meridian der Antipoden, und auf diesem hundertachtzigsten Meridian liegen nicht unsere Salomon-Inseln, sondern seine Insulae Salomonis. Was spielt es dann für eine Rolle, ob sie wirklich dort liegen oder nicht? Diese Geschichte wird, wenn überhaupt, die Geschichte von zwei Personen, die dort zu sein glauben , nicht von zwei Personen, die dort sind , und wer Geschichten hören will – ein Dogma unter den Liberalsten –, der muss seine Ungläubigkeit suspendieren.
    Deshalb sage ich: die Daphne befand sich am hundertachtzigsten Meridian, genau bei den Inseln Salomons, und unsere Insel war – unter den Inseln Salomons – die salomonischste, so salomonisch wie auch mein Schiedsspruch ist, und damit ein für alle Mal basta.
     
    »Und was nun?«, hatte Roberto am Ende von Pater Caspars Erklärung gefragt. »Meint Ihr wirklich, auf jener Insel alle Reichtümer zu finden, von denen Mendaña gesprochen hatte?«
    »Ach, das sind doch Lügen der Spanischen Monarchy! Wir stehn vor dem allergrößten Wunder der gantzen Menschen- und Heylsgeschichte, das du noch immer nit zu begreiffen vermagst. In Paris hast du den Damen nachgaffet und die Ratio studiorum der Epikureer befolget, statt nachzudencken über die Grossen Miraculi unseres Universums, deß Schöpfers Allerheiligster Name fiat semper laudatum!«
    Mithin hatten die Gründe, aus denen Pater Caspar auf dieReise gegangen war, wenig zu tun mit den räuberischen Absichten der verschiedenen Seefahrer anderer Länder. Alles hatte damit begonnen, dass Pater Caspar ein monumentales Werk zu schreiben gedachte, das dauerhafter als Erz sein sollte und dessen Thema die Sintflut war.
    Als Mann der Kirche wollte er darin beweisen, dass die Bibel nicht gelogen hatte, aber als Mann der Wissenschaft wollte er das Wort der Heiligen Schrift mit den Forschungsergebnissen seiner Zeit in Einklang bringen. Und zu diesem Zweck hatte er Fossilien gesammelt, hatte die Länder des Ostens erkundet, um Spuren auf dem Gipfel des Berges Ararat zu finden, und hatte genaueste Berechnungen über das angestellt, was die Dimensionen der Arche gewesen sein mussten, wenn sie so viele Tiere aufnehmen konnte (und wohlgemerkt: von den reinen Tieren je sieben Paare!) und wenn sie zugleich die richtige Proportion zwischen aufgetauchtem und untergetauchtem Teil hatte, um nicht unter dem ganzen Gewicht zu versinken oder umgestürzt zu werden von den Sturzwellen, die während der Sintflut nicht unbeträchtlich gewesen sein konnten.
    Der Pater machte eine Skizze, um Roberto den Aufriss der Arche zu zeigen: ein riesiges kastenartiges Gebäude mit sechs Stockwerken, die Vögel oben, damit sie das Sonnenlicht abbekamen, die Säugetiere in Gattern, die nicht nur Kätzchen beherbergen konnten, sondern auch Elefanten, und die Reptilien in einer Art Bilge, wo zwischen Wasserpfützen auch die Amphibien Unterkunft fanden. Keinen Platz gab es für die Riesen, und darum ist diese Spezies auch ausgestorben. Und schließlich hatte Noah auch nicht das Problem mit den Fischen, den einzigen, die von der Sintflut nichts zu befürchten brauchten.
    Jedoch beim Studium der Sintflut war Pater Caspar auf ein Problem physikalisch-hydrodynamischer Art gestoßen, das sich anscheinend nicht lösen ließ. Gott ließ es vierzig Tage und vierzig

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